Mit dem Teufel im Bunde
das Misstrauen und den hier und da zu spürenden Unmut über diese Frau verebben lassen, die wie ein Mann einen Handel führte und höflich für die Ratschläge alter Freunde ihres verstorbenen Gatten dankte, sie jedoch nicht immer befolgte. Auch die Zahl der Bewerber um ihre Hand und somit um ihr einträgliches Unternehmenhatte sich schnell verringert. Man zollte ihr Respekt für die jahrelange Trauer. Madam van Keupen, hieß es allgemein, sei treu über den Tod hinaus. Wer es besser wusste, schwieg. Zumeist aus gutem Grund.
Inzwischen genoss sie die einsame Zeit vor dem Epitaph, in der ihre Gedanken ungestört und frei waren. Hier fand sie zu ihren wichtigsten Entscheidungen. Im Übrigen waren diese Stunden beste Gelegenheiten für diskrete Verabredungen, für Gespräche und Verhandlungen, die niemand etwas angingen. So gab es eine ganze Reihe guter Gründe, die Dienstagabendbesuche fortzusetzen. Sie versäumte nie, ein Gebet zu sprechen und eine Münze in den Opferstock zu werfen, sie wusste, wo Dankbarkeit angebracht war. Und dass der Kirchendiener, der sie fortgehen sah, neugierig prüfte, wie groß die Münze war, die sie gegeben hatte.
An diesem Abend eilte sie ein wenig später als gewöhnlich zu ihrer Verabredung mit der Stille und der Konzentration der Gedanken. Obwohl es schon dunkelte, hatte sie keine Laterne mitgenommen oder gar einen Laternenträger bestellt. Es war nicht weit, und in der Kirche brannten an diesen Abenden stets zwei Kerzen für sie. Sie war keine furchtsame Person, das seit so vielen Jahren vertraute große Kirchenschiff mit den im Kerzenlicht flackernden Schatten und dunklen Nischen hatte sie niemals geängstigt, sondern ihr ein Gefühl der Geborgenheit gegeben.
Wie immer betrat sie die mächtige Kirche durch das Hauptportal, schritt rasch durch die dunkle Turmhalle in das Mittelschiff
.
Das letzte Tageslicht drang nur noch matt durch die Fenster, auf den schulterhohen Kandelabern links und rechts des Epitaphs leuchtete das warme Licht der Kerzen. Sie waren bald heruntergebrannt, sie musste daran denken, neue zu schicken.
Sie hatte erwartet, schon einige der Gerätschaften des Stuckators vorzufinden, Taubner war keiner, der Zeit verschenkte. Seine Arbeit erforderte Akkuratesse und erlaubte keine Eile, umso weniger Stunden verplemperte er mit Untätigkeit. Doch sie sah nichts, nicht die Hölzer und Leitern, die er für das Gerüst brauchte, nicht die Eimer und Kisten für Gips, Sand, Kalk und Farben. Natürlich, zumindest die teuren Farben würde er kaum unbewacht an einem Ort lassen, zu dem jedermann freien Zugang hatte.
Als Taubner am Vormittag in ihrem Kontor anklopfte, um seine Arbeit mit ihr zu besprechen und auf ihre Frage nach Neuigkeiten zu antworten, hatte sie ihn gleich wieder fortgeschickt. Dieser Tag hatte der Ordnung ihres Kontors gehört. ‹Morgen, Meister Taubner›, hatte sie gesagt, ‹gleich nach Sonnenaufgang in der Kirche, damit Ihr keine Minute des Tageslichts versäumt.› Gutes Licht war zur richtigen Abstimmung der Farben unerlässlich. Sie wusste, dass er mit jeder Mischung vor das Portal treten würde, um das Ergebnis zu prüfen, bevor er die gefärbte Stuckmasse in die abgebröckelten Stellen einfügte und glatt strich. Wahrscheinlich, so dachte sie jetzt, hatte er den Tag in Altona verbracht, seiner Heimatstadt. Eine Schwester oder Tante lebte dort wohl noch, oder war es Wandsbek gewesen? Jedenfalls hatte er sonst keine Familie, was für einen Mann seines Alters ungewöhnlich war, selbst wenn sein Handwerk ihn oft auf lange Reisen führte.
Unter der Orgelempore verharrte sie kurz und sah sich um. Zumeist saß um diese Stunde noch jemand in einer der Bänke, ins Gebet oder in Gedanken vertieft, mit einem Kummer beschäftigt oder beim Dank für ein Glück. Heute sah sie niemanden. Auch die Tür zur Sakristei war verschlossen; die einzigen Geräusche, die sie vernahm, kamen von der Straße und vom Kirchhof, ein Wagen rollte vorüber,eine Männerstimme rief Unverständliches, ein Hund jaulte wütend auf.
Sie wandte sich nach links, wo sich an der Halbsäule bei der Empore das Epitaph der van Keupens befand, und setzte sich auf den Stuhl, den der Kirchendiener für sie davor gestellt hatte. Trotz des milden Wetters war es in der Kirche kalt, fröstelnd zog sie ihr wollenes Tuch fester um Schultern und Rücken, lehnte sich zurück und spürte, wie die Anstrengung des Tages in Körper und Geist nachließ. Irgendwo knarrte altes Holz. Sie sah sich um, doch
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