Mit dem Teufel im Bunde
abgeholt und die große Neuigkeit des Tages erfahren. «Der Kirchendiener hat gestern Abend eine Tote gefunden, nicht irgendeine, es ist Madam van Keupen. Der Riemer sagt, da hat der Teufel seine Hand im Spiel gehabt. Er ist ein abergläubischer alter Kerl.»
«Und du tust gut daran, solchen Unsinn nicht weiterzutragen.» Augustas Stimme klang ungewohnt streng. «Sibylla van Keupen, sagst du? Wie furchtbar. Wusste derneunmalkluge Riemer auch, woran sie tatsächlich gestorben ist? Sie war doch eine noch junge Frau.»
«Jemand hat sie erschlagen, sagt er. Mit einem der Altarleuchter. Direkt vor ihrem Familiengrab. Ich weiß nicht, ob’s stimmt. Wenigstens», fügte er zögernd hinzu, um die Sache mit dem Teufel wiedergutzumachen, «ist sie im Gebet gestorben.»
Augusta starrte schweigend zum Kirchenportal hinüber. Ihr Gesicht wirkte plötzlich grau. Sie hatte Sibylla van Keupen flüchtig gekannt und bewundert, wie sie als Witwe das Zepter in die Hand genommen und das Handelshaus weitergeführt hatte. Je mehr sie sich der nahen Endlichkeit ihres eigenen Lebens bewusst wurde, umso tiefer erschütterte sie der Tod eines um viele Jahre jüngeren Menschen. Sibylla van Keupen musste etwa so alt gewesen sein wie Thorben, Augustas inniggeliebter Ehemann, als er vor vielen Jahren mit seinem Schiff in einer stürmischen Nacht in der Biskaya untergegangen war.
«Madam van Keupen», sagte Rosina in das Schweigen. «Das ist seltsam. Erst vorgestern Nacht hat es in ihrem Kontor gebrannt. Ich habe das Feuer von meiner Schlafkammer aus gesehen, sie haben es blitzschnell gelöscht. Jemand soll durch das Fenster vom Hof eingebrochen sein.»
Auch von dem Brand hatte Augusta nichts gehört, obwohl sie ihr Vergnügen an Klatsch und Gerüchten nie verleugnete.
«Ja», sagte Benni, «genau. Manche sagen auch, jemand vom Haus hat das Feuer gelegt.»
«Unsinn.» Auf Augustas Stirn entstand eine ärgerliche Falte. «Solche Dinge sagen die Leute immer, das sind Neider, Phantasten oder beides.»
Ihre Wangen und Lippen schimmerten wieder rosig. Sie hatte ein großes Herz und ein heiteres Naturell, in ihremlangen Leben hatte sie gelernt, wie hie und da eine kleine List, notfalls die großzügige Auslegung der Wahrheit, ihren Plänen und dem menschlichen Zusammenleben förderlich sein konnten. Engstirnigkeit und üble Nachrede jedoch gehörten zum wenigen, das sie ernstlich erzürnen konnte.
«Ich nehme an, Rosina, Ihr kanntet Madam van Keupen nicht. Vielleicht hättet Ihr einander nicht gemocht, doch Ihr wart in manchem ähnlich. Zumindest in einem gewissen Eigensinn, und wie Ihr musste sie um ihre geachtete Position kämpfen. Auch wenn sie keine Komödiantin war, sondern eine wohlhabende Bürgerin aus geachtetem Haus. Ihr wurde mit Argwohn begegnet, als sie die Handlung ihres verstorbenen Mannes weiterführte, und mit Häme, als sie zu Anfang falsche Entscheidungen traf und Geld verlor. Welchem Kaufmann wäre das, besonders in seiner Anfangszeit, nicht passiert? Ach, ich neige heute dazu, Vorträge zu halten. Helft meinen alten Augen, Rosina, steht dort drüben am Portal unser Weddemeister und schaut herüber?»
Rosina hatte ihn schon entdeckt. Weddemeister Wagner war auch durch die Menge leicht daran zu erkennen, dass er sich wieder einmal mit seinem großen blauen Sacktuch die Stirn rieb. Er stand vor dem Portal, beschirmte die Augen mit der Hand gegen die herbstlich tief stehende Sonne, während er zu ihrer Kutsche herübersah und zugleich seinem Weddeknecht zuhörte. Grabbe war ein langer dünner Mensch unbestimmbaren Alters, der vermeintlich müde Ausdruck seiner Augen war seine beste Tarnung. Er überragte Wagner um zwei Köpfe, was bei dessen kurzbeiniger Statur allerdings wenig besagte.
Rosina kannte den Weddemeister, seit er vor gut sieben Jahren ihren Prinzipal als Mörder des Ersten Schreibers der Herrmanns’ verdächtigt und in die Fronerei gesperrt hatte. Um Jean vor dem Galgen zu retten, war ihr und den anderenBecker’schen nichts übriggeblieben, als sich auf die Suche nach dem wahren Mörder zu machen. Sie hatten ihn gefunden, und seither hatte die neugierige Rosina – oft mit Hilfe ihrer Verkleidungskünste oder der Akrobaten der Truppe – Wagner immer wieder bei der Jagd nach Unholden jeglicher Art unterstützt
.
Der Weddemeister war in der ganzen Stadt bekannt; besonders dort, wo die Gassen dunkel und schmutzig waren wie manche der Geschäfte, die dort betrieben wurden, und er gewöhnlich auf eisernes
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