Mit dem Teufel im Bunde
hannöversche Posthaus, die Stadtwaage und den Kran passiert hatten, konnten die Pferde wieder gehen, ohne ständig aufgehalten zu werden.
«Ich sehe Eurer Nasenspitze an», fuhr Madam Augusta fort, «dass Euer Dank nicht aus tiefstem Herzen kommt, Rosina, und Ihr habt recht damit. Ich habe mich zu früh eingemischt. Verzeiht Ihr meinen Eifer?»
«Es gibt nichts zu verzeihen. Ich hätte den Kampf tatsächlich gern alleine ausgefochten, aber wenn Ihr lange genug gelauscht habt, habt Ihr auch gehört, dass ich schon den falschen Weg eingeschlagen hatte. Das war dumm, doch als ich begriff, dass dem braven Monsieur plötzlich eingefallen war, woher er meinen Namen kannte und sich eine so dumme Ausrede einfallen ließ, um mich wieder loszuwerden, wurde ich schrecklich zornig. Am meisten auf mich, weil ich wieder einmal vergaß, dass eine Dame die Stimme nicht erhebt. Aber ich wollte mich doch nicht um ein Bürgermeisteramt bewerben.»
«Dazu müsstet Ihr nicht nur Euren Stand, sondern auch Euer Geschlecht ändern, meine Liebe. Zacher ist ein verdienter Mensch, doch auch ein Eiferer. Vielleicht gibt es nach so vielen Jahren in seinem Amt nur zwei Möglichkeiten: große Gleichgültigkeit oder verbissenen Eifer. Ich wollte Euch unnütze Wege ersparen, dass er Euch misstrauen könnte, habe ich nicht gedacht.»
«Seid Ihr sicher?»
«Ich glaube schon. Ihr seht: Ich bin achtsam mit meinen Worten. Lasst Euch von solch dummen Urteilen nicht ins Bockshorn jagen, Ihr werdet sie noch oft erleben.»
Rosina schwieg. Sie kannte sich mit Vorurteilen aus und war ihnen stets selbstbewusst begegnet, wenn auch oft mit heimlichem, manchmal mit offenem Zorn. Während all der Jahre als Komödiantin hatte ihr Stolz geholfen, nicht jede Schmähung als Demütigung zu empfinden. Dass es nun anders war, erschreckte sie. Elsbeth hatte recht gehabt: Sie war ‹anders› und würde es immer bleiben. Nicht nur, weil sie einen Beruf gehabt hatte, den die meisten Bürger verachteten oder zumindest mit Argwohn betrachteten. Ihre Kindheit in dem vornehmen wohlhabenden Haus, in dem sie eine für ein Mädchen ungewöhnlich gute Bildung erfahren hatte, die darauffolgenden zwölf turbulenten Jahre als Wanderkomödiantin, ihre Erlebnisse auf den Straßen, in den vielen Dörfern und Städten ließen sie unabhängiger denken und fühlen als die meisten, die nun ihre Nachbarn waren. Das war gut und schwer zugleich. Ihr Alltag schien nun eine Gratwanderung. Als sie sich für das Leben mit Magnus und in dieser Stadt entschied, hatte sie sich vorgenommen, ihre neue Rolle gut zu spielen. Doch sie konnte nicht ihr Leben lang eine Rolle spielen. Sie wusste, was das bedeuten würde und dass das für sie nicht möglich war. Und dass sie es nicht wollte. Auf gar keinen Fall.
«Lasst Euch nicht verbiegen», sagte Augusta leise, als könne sie Gedanken lesen, «versucht es gar nicht erst. Ihr seid auch so ‹ehrbarer› – ein schreckliches Wort, findet Ihr nicht? – als so mancher unter unseren honorigen Mitbürgern. Die Zeiten ändern sich, zum Glück. Ihr seid nicht die Einzige, die einen anderen Weg als den gewöhnlichen gegangen ist. Erinnert Euch an meine Großnichte, Sophie hatsich sogar scheiden lassen. Man kann es nicht jedem recht machen, und es gibt genug Menschen in der Stadt, die Euch außerordentlich schätzen. Sie gehören zu den interessanteren, glaubt mir. Und zu den verlässlicheren.»
«Ich hatte gedacht, der Waisenhausschreiber werde froh sein, ein weiteres Kind in Kost zu geben. Jeder Schankwirt am Hafen bekommt eines ohne große Fragerei.»
Augusta lächelte. «Wer behauptet, das Leben sei gerecht? Du meine Güte! Werden hier Goldstücke verteilt?»
Die Kutsche hatte den Katharinenkirchhof erreicht, um über die Jungfernbrücke zum Haus der Herrmanns’ am Neuen Wandrahm zu fahren. «Kannst du sehen, was los ist, Benni?», wandte sie sich an den Kutscher, der hoch auf dem Bock eine bessere Sicht hatte.
«Die Leute stehen rum und gaffen. Wohl wegen der Leiche.»
«Wegen einer Beerdigung?» Augusta sah sich suchend um. Vornehme Leichengänge lockten viele Neugierige und bedeuteten eine lange Reihe mit schwarzem Tuch bedeckter Pferde und Kutschen wohlhabender Trauergäste. Sie entdeckte nicht einmal eine ärmliche Mietkutsche.
«Habt Ihr noch nicht davon gehört?» Benni, in diesem Sommer vom Pferdejungen zum zweiten Kutscher der Herrmanns’ aufgestiegen, hatte in aller Frühe beim Riemer am Dovenfleet das ausgebesserte Kutschgeschirr
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