Mit dem Teufel im Bunde
Er hatte sofort gewusst, dass etwas von Bedeutung geschehen sein musste, sonst hätte sie es nicht gewagt. Wie am Tag zuvor, am Morgen nach dem Feuer im Kontor, war er sofort in den Cremon geeilt. Juliane hatte ihn nicht gleich empfangen, was ihm recht gewesen war, er hatte die Zeit, bis die Handelslehrlinge und Schreiber eintrafen, gut genutzt.
Endlich hatte sie nach ihm geschickt. Sie hatte ihn im Salon mit blassem chinesischem Tee erwartet, diesem teuren Getränk, das er überaus belanglos fand. Er hatte ihre Hände ergriffen und sie mit allem Schmelz und aller Trauer angesehen, die seinen Augen zur Verfügung standen. Leider hatte sie ihm die Hände gleich entzogen und ihn spüren lassen, dass es ihm nicht anstand, sie zu halten. Es hatte ihm missfallen.
Der Salon hatte ihn überrascht. Seit er das letzte Mal hier gewesen war, es mochte ein Jahr her sein oder länger, hatte Sibylla die altväterlichen Ledertapeten durch neue aus licht geblümtem Papier ersetzen lassen, den sogenannten
Papiers d’Angleterre
. Die düstere Holztäfelung der Decke war schon geraume Zeit früher zarten, reinweißenStuckgebilden aus Blüten, Ranken und exotischen Vögeln gewichen, die Vorhänge, die Bezüge der Stühle um den zierlichen Salontisch, alles war nun in perfekt aufeinander abgestimmten Pastelltönen gehalten. Nur der Spiegel im schweren goldenen Rahmen, die Familienporträts und die Standuhr erinnerten noch an die alte Ausstattung des Raumes.
Die Stühle, so stellte er fest, waren nicht nur elegant, sondern auch bequem. «Habt Ihr Euren Nichten schon geschrieben?», fragte er, als sie ihm Tee einschenkte und die feine, mit zierlichen Blüten und Pastoralen in Rot und Gold bemalte Tasse reichte. Juliane war keine leibliche Schwester Tillmann van Keupens gewesen. Die zweite Frau seines Vaters, eine junge Witwe, hatte das Mädchen mit in die Ehe gebracht. Er hatte sie wie eine Schwester betrachtet, und seine und Sibyllas Töchter waren von jeher als ihre Nichten bezeichnet worden. «Glaubt Ihr, sie werden bald kommen?»
«Wohl kaum.» Ihr Blick glitt zu dem Schreibschrank, auf dessen geöffneter Klappe schon ein kleiner Stapel gesiegelter Briefe lag. «In den nächsten Tagen legt ein Schiff nach Livorno ab, doch es hat auch Ladung für Bordeaux, es wird einige Zeit dauern, bis Regina meine Nachricht erreicht. Ich werde einen zweiten Brief mit der reitenden Post schicken, die wird schneller sein. Und Tine in Sankt Petersburg? Noch ist das Wetter freundlich, ich überlege, den Brief den reitenden Posten anzuvertrauen. Was denkt Ihr?» Zum ersten Mal an diesem Morgen zeigte sie ihm ein blasses Lächeln. «Oder sollte ich einen Boten nach Lübeck schicken? Von dort geht vielleicht schneller ein Schiff nach Russland.»
Bergstedt verbarg seine Befriedigung. Juliane hatte offenbar wenig Eile, ihre Nichten als die Erbinnen der vanKeupen’schen Handlung zu begrüßen. Vielleicht bedeutete es mehr als Sentimentalität, wenn sie auf ihrem linken Zeigefinger den Familienring trug, der seit Tillmann van Keupens Tod an Sibyllas Hand gesteckt hatte. Bis gestern Nacht. Er neigte abwägend den Kopf. «Die Winde auf der Ostsee sind jetzt schon unberechenbar. Am sichersten und schnellsten dürfte nun die Kaiserliche reitende Post sein. Die Straßen werden noch passabel sein, obwohl ich im Hafen von starken Unwettern in Kurland gehört habe. Die Königlich Preußische bietet zurzeit nur Kutschen, schnelle Wagen, doch natürlich nicht annähernd so schnell wie die reitenden Kaiserlichen.»
«Die allerdings just heute Morgen die Stadt verlassen haben.»
«Ihr seid gut informiert. Dann wisst Ihr auch, dass die nächsten Boten erst Sonnabend reiten.»
«Und Sankt Petersburg dennoch früher erreichen als die Wagen der Preußischen Post, die schon Freitag abfährt?»
«Richtig.» Bergstedt begann sein vermeintlich unscheinbares Gegenüber mit anderen Augen zu sehen. Womöglich kannte sie sich mit der Post aus, weil sie heimlich davon träumte zu reisen. Wenn sie auch in wichtigeren Belangen des Handels Bescheid wusste, war sie mehr als die stille Person, als der Schatten der glänzenden Sibylla. Er musste auf der Hut sein. Manchmal, wenn der schattenwerfende Baum fiel, zeigte sich das vermeintliche Pflänzlein im Hintergrund selbst als ein Baum. Das Gespräch, zu dem er außer mitfühlenden Floskeln die Gewissheit mitgebracht hatte, eine zähe halbe Stunde vor sich zu haben, begann ihm Vergnügen zu bereiten. Er bedauerte, dass sie
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