Mit dem Teufel im Bunde
sich auf deren Besitz verirrt hatte.
«Danke, Grabbe.» Sie schritt rasch an ihm vorbei, den Hund fest im Blick. Eine schlabberig-nasse Zunge von der Größe eines mittleren Brotlaibes fuhr über ihre Hand, sie sah in wachsame gelbe Augen und tätschelte entschlossen seinen quadratischen Schädel.
«Netter Hund», murmelte sie und verschwand durch das Portal, im Rücken letzte Pfiffe der Empörung. Endlich gab die Menge die Hoffnung auf die Eroberung der Kirche verloren und löste sich in alle Richtungen auf.
***
Juliane van Keupen saß mit versteinertem Gesicht im Salon. Ihr Kleid aus mattem schwarzem Kattun war zu weit und verströmte den muffigen Geruch der Mischung von Rainfarn, Rosmarin, Kampferlorbeer und Raute, der Mottenkräuter, mit denen es in einer Truhe auf dem Dachboden gelegen hatte. Nach dem Ende des Trauerjahres für Tillmann van Keupen anno 1765 hatte sie es kaum mehr getragen. Leichenfeiern mochten für die meisten ein gesellschaftliches Ereignis sein, sie blieb ihnen lieber fern, wenn sie nicht die eigene Familie betrafen. Die Mademoiselle, so hieß es in der Stadt, sei eben eine überaus empfindsame und zurückhaltende Person. Auch gab es bei diesen ausgedehnten Mahlzeiten kaum jemanden, der sie, eine besitzlose ledige Verwandte und wenig unterhaltsam, vermisste.
«Ich bin für Eure Unterstützung dankbar.» Sie setzte steif die Teetasse auf den Unterteller und sah Lenert Bergstedt unter ihrem bis zu den Brauen reichenden Schleier aus hauchfeiner schwarzer Spitze ausdruckslos an. Ihre hellen grauen Augen waren gerötet und umschattet, ob von Tränen oder vom Mangel an Schlaf, war schwer zu entscheiden. «Ich bedauere, sagen zu müssen, dass ich mich vom Tod meines Bruders noch gut erinnere, was nun getan werden muss. Dabei brauche ich keine Hilfe. Monsieur Bator hat sich schon als Trauermann angeboten, das ist in Sibyllas Sinn, denke ich. Wir haben in der Stadt ja keine Verwandten mehr, deren Aufgabe es gewesen wäre.»
Bator würde nun als ihr Vertreter die Nachricht zu den Sibylla van Keupen verbundenen Hamburger Familien und Kontoren bringen und ihr bei der Vorbereitung des Begräbnisses zur Seite stehen. Auch Monsieur Schwarzbach hatte sich angeboten, zweifellos auf Drängen seiner Gattin. Es war Juliane leichtgefallen abzulehnen. Sibylla mochte Madam Schwarzbachs Freundin gewesen sein, ihren Ehemann hatte sie einzig als Kattunmanufakteur und Kaufmann respektiert. Ihm stand die Ehre der Rolle des Trauermannes keinesfalls zu.
«Monsieur Bator wollte mir alles abnehmen, auch die Korrespondenz, er habe die ganze Unterstützung seiner Gattin und Madam Meinerts, seiner Tochter. Doch Ihr werdet mir darin zustimmen, dass Geschäftigkeit über die erste große Erschütterung hinweghelfen kann. Obwohl, natürlich …» Sie griff ein wenig atemlos nach ihrer Tasse, nippte und stellte sie stirnrunzelnd zurück. «Kalt», murmelte sie, «kalt und bitter. Wenn Ihr dafür sorgt, dass die Arbeit im Kontor und in den Speichern weitergeht wie bisher, wäre es eine Beruhigung für mich.»
«Das ist eine Selbstverständlichkeit, Mademoiselle. Ihr werdet wissen, dass ich mit allem vertraut bin. Völlig vertraut», betonte er, als Julianes Blick für einen Moment schärfer wurde. «Allerdings brauche ich die Schlüssel zu der Truhe mit den Verträgen und Wechseln, das ist für den reibungslosen Fortgang unserer Arbeit unabdingbar.»
Ihm schien, als zögere sie, bevor sie sich erhob und den Bund holte, den er so oft in Sibyllas Händen gesehen und auch selbst benutzt hatte. Sie zog ihn aus einer Lade des Schreibschrankes und löste zwei der größeren Schlüssel.
«Ja.» Sie setzte sich wieder, lehnte sich endlich ein wenig bequemer zurück und legte die Schlüssel auf den Tisch. «Sibylla hat Euch in allem vertraut. Wie mir.»
In allem. Warum sagte sie nicht absolut? Bergstedt neigte trotzdem zustimmend den Kopf, höflich und ergeben.
«Ihr hättet gestern Abend nach mir schicken sollen, Mademoiselle, gleich als die schreckliche Nachricht kam. Natürlich verstehe ich, dass Ihr mit Eurem Schmerz allein sein wolltet, doch auch gestern hätte ich Euch gerne beigestanden. Es ist nicht gut», fuhr er sanft fort, «in einer solchen Stunde allein zu sein. Wir bedürfen alle des Trostes.»
Die Umständlichkeit ihrer Rede schien abzufärben, er hätte gerne etwas weniger Gestelztes gesagt. Seine Hauserin hatte schon bald nach Sonnenaufgang energisch an die Tür seiner Schlafkammer geklopft und ihn geweckt.
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