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Mit dem Teufel im Bunde

Mit dem Teufel im Bunde

Titel: Mit dem Teufel im Bunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Melancholie. Dort würde sie nie wieder sitzen. Nie wieder lachend boshafte kleine Bemerkungen abschießen wie Pfeile, nie wieder mit konzentriertem Blick über Rechnungen und Verträgen grübeln, kühne Entscheidungen treffen, nie wieder – so vieles nie wieder, was er geschätzt, ja, gemocht hatte, oder was ihn gestört, was ihn getroffen hatte.
    Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte gegen das mit Ölpapier und einem quer über den Rahmen genagelten Brett gesicherte Fenster. Ja, es konnte nicht lange dauern. Wie lange aber mochte es dauern, bis Sibyllas Töchter eintrafen, und vor allem: deren Ehemänner? Er hatte sie einmal gefragt, ob sie ihre Töchter vermisse und bedauere, dass beide in so weit entfernten Städten lebten. Sie hatte nur gelächelt. Wie oft, wenn er Fragen gestellt hatte, die keiner Antwort bedurften.
    Sibylla hatte ihre Töchter klug verheiratet. Es hieß, zumindest Bettine, die von jeher nur Tine genannt wurde, sei mit der Wahl nicht einverstanden gewesen und habe sich nur nach heftigem Kampf in die Ehe mit dem um viele Jahre älteren Mann gefügt. Böse Zungen behaupteten, auch er habe erst überzeugt werden müssen. Bergstedt hielt das für haltloses Geschwätz; wenn es tatsächlich so gewesen war, hatte Sibylla ihn gewiss mit Versprechungen für die Zukunft bestochen. Aber Tine war ein schönes Mädchen gewesen, sicher war sie nun auch eine schöne Frau, bei ihrer Mitgift und Familie musste ein Mann dumm sein, sich gegen eine Heirat mit ihr zu sträuben. Tine, hieß es auch, gleiche ihrer Mutter aufs Haar.
    Ihr Gatte war der Handelsagent für Hamburg und einige andere norddeutsche Städte in der neuen Stadt auf den Inseln im Newa-Delta. Für einen geschickten Kaufmann war das ein ungemein einträglicher Posten. Die junge russische Hauptstadt der Zaren zählte schon doppelt so viele Einwohner wie Hamburg; Kultur, Wissenschaften und – natürlich – der Handel erlebten dort eine erstaunliche Entwicklung. Die Russland-Geschäfte der van Keupens hatten sich seit Tines Heirat verdreifacht. Sie hatte ihrem Mann zwei Söhne geboren, beide gesund und kräftig, weiterer Kindersegen stand zu erwarten.
    Die sanftere und um ein Jahr jüngere Regina war die Ehefrau eines Kaufmanns, der als jüngerer Sohn die Handelsniederlassung seiner bremischen Familie in Livorno leitete. Sie lebte gern in der schönen, ungewöhnlich freiheitlichen Hafenstadt an der ligurischen Küste. Zwischen den Zeilen ihrer Briefe, so hatte Sibylla ihm einmal anvertraut, sei zu lesen, Regina wolle nur ungern in ihre enge Heimatstadt im kalten Norden zurückkehren. Sie hatte eine Tochter, ein Sohn war nach wenigen Tagen gestorben.Die Beziehungen des van Keupen’schen Kontors zu Livorno hatten sich nicht so prächtig entwickelt wie mit Russland, Livorno war ein erheblich unbedeutenderer Hafen, dafür waren die vielfältigen Verbindungen von Reginas tüchtigem Ehemann eine fabelhafte Aussicht für die Zukunft, besonders die mit dem amerikanischen Kontinent.
    Sibylla hatte nie daran gedacht, eine ihrer Töchter könne einmal ihren Platz an der Spitze der Handlung einnehmen. Vielleicht später, falls eine der beiden wie sie selbst in den besten Jahren zur Witwe wurde, das würde sich dann zeigen. Sie hatte geplant, einem der beiden Schwiegersöhne die Leitung des Hauses zu übergeben, allerdings noch nicht entschieden, welchem. Sie hatte geglaubt, noch viel Zeit zu haben. Reginas Mann, den Kaufmann in Livorno, hatte sie für den geeigneteren gehalten. Nun stand das Handelshaus Tine als der Älteren und ihrem Gatten zu. Nichts hätte er in diesem Moment lieber gewusst, als ob Sibylla eine andere Verfügung hinterlassen hatte. Und wo er noch unbemerkt danach suchen konnte. In der Truhe hatte er nichts dergleichen gefunden.
    ***
    Der Tag war trübe, Rosinas Augen mussten sich erst an den in der Kirche herrschenden Dämmer gewöhnen. Wagner stand mit einem Mann im schwarzen Rock und schwarzen Kniehosen und Strümpfen nahe dem Epitaph der van Keupens. Das musste der Kirchendiener sein, der gestern Abend die Tote gefunden hatte. Er war ein alter Mann mit schmalen Schultern, seine einfache braune Perücke brauchte einen Kamm, am besten auch eine Portion neuer Haare. Er wandte ihr den Rücken zu und hatte anders als der Weddemeister ihr Eintreten nicht bemerkt. Sie nickteWagner zu, legte den Finger auf die Lippen und setzte sich wenige Schritte entfernt in eine der Bänke, nah genug, um die Stimmen der

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