Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
das kollektive Wort „Wolf“ sehr viel weniger benutzen als moderne Wolfsökologen. Obwohl den Wissenschaftlern durch Studien an gefangenen Wölfen individuelle Variationen im Temperament bekannt sind, wurde dies nur sehr selten auf Verhaltensinterpretationen von frei lebenden Wölfen ausgedehnt. Vererbte Unterschiede im Temperament sind ein schwer erkennbares Phänomen für das ungeübte Auge, werden aber von den Nunamiut benutzt, um das unterschiedliche Verhalten der von ihnen beobachteten Wölfe zu erklären, einschließlich ihrer Reaktion auf Menschen, ihre Wachsamkeit, Jagdvermögen, Sozialverhalten oder Aggression.
Aus buchstäblich Hunderten von Begegnungen mit Wölfen an ihren Höhlen erkennen die Nunamiut beispielsweise Unterschiede in den individuellen Reaktionen von erwachsenen Wölfen auf menschliche Eindringlinge. Mütter zeigen normalerweise ein äußerst ängstliches Verhalten, indem sie zunächst den Eindringling anbellen und dann anheulen und dabei im Umkreis von einigen Hundert Metern zur Höhle bleiben. In einigen Fällen jedoch haben die Weibchen das Höhlengebiet einfach verlassen, ohne Laut zu geben oder sich ängstlich zu verhalten. Wolfsrüden dagegen zeigen sehr viel weniger Angst als Wölfinnen, sie bewegen sich weiter von der Höhle fort, geben weniger Laut und verlassen manchmal das Gebiet vollständig. Einige dagegen haben auf den Eindringling reagiert wie ein „typischer“ weiblicher Elternteil.
Die Nunamiut sind sehr gute Beobachter und haben lange Erfahrung mit dem Wolf. So wissen sie, dass nicht alle Wölfe bei der Tötung der Beute die gleiche Rolle spielen. Sie sagen als Faustregel, dass normalerweise in einem Rudel von fünf Tieren zwei Wölfe die Hauptarbeit bei der Tötung übernehmen, die restlichen Wölfe spielen bei der Jagd eine Nebenrolle. Die sehr jungen und sehr alten Tiere übernehmen bei der Tötung von großer Beute selten einen aktiven Teil.
Die Nunamiut betonen auch, wie wichtig es ist, eine Art „höheres“ Verhalten von Wölfen zu erkennen, beispielsweise Einsicht, Zweckmäßigkeit und enorm große Lernkapazität. Ein unangenehmes Erlebnis wie zum Beispiel die Begegnung mit einem Jäger ist ausreichend für einen Wolf, um ähnliche Situationen in Zukunft zu meiden. Von erwachsenen Wölfen, die bereits Erfahrungen mit Fallen gemacht haben, weiß man, dass sie sich kaum noch in Fallen einfangen lassen. Sie erlauben auch ihren Welpen nicht, einen Kadaver aufzusuchen, den Menschen berührt haben. Die meisten Nunamiut sind sich darüber einig, dass es fast unmöglich ist, einen erfahrenen Wolf zu fangen. Sie kennen viele Beispiele für ein hohes Ordnungsverhalten bei Wölfen und haben dies in verschiedenen Verhaltenszusammenhängen beobachtet. Der Gebrauch eines sorgfältig ausgearbeiteten „Hinterhaltes“ bei der Jagd ist ein bemerkenswertes Beispiel. Ein anderes ist die Reaktion eines Jährlings oder erwachsenen Wolfes auf die Anwesenheit von Menschen beim Rendezvous-Platz. So beobachteten zwei Nunamiut einen Jährling, der zum Rendezvous-Platz eilte und einen Wurf Welpen fort führte, nachdem er etwa eineinhalb Kilometer von den Welpen entfernt Jäger entdeckt hatte. Bei der gleichen Gelegenheit, kurz bevor sie die Wölfe entdeckten, beobachteten die Jäger zwei erwachsene Wölfe, die den Rendezvous-Platz zur Jagd verließen. Als ein Welpe ihnen folgen wollte, führte ihn das Weibchen der erwachsenen Wölfe zu den anderen Welpen zurück und ging dann erneut in die Richtung, in die der andere Wolf gelaufen war. Nach etwa neunzig bis hundert Metern jedoch legte sie sich plötzlich für eine halbe Stunde nieder, stand dann auf und folgte dem Pfad des anderen Tieres. Die Nunamiut nahmen an, dass das Weibchen gewartet hat für den Fall, dass ihr der Welpe erneut gefolgt wäre.
Wenn es darum geht, Huftiere verschiedenen Geschlechts, Alters und unterschiedlicher körperlicher Verfassung zu jagen, dann ist laut der Nunamiut eines der wichtigsten Elemente für den Ausgang einer solchen Jagd die Entschlossenheit des Wolfes, das Tier zu töten. Bei den Karibus sind sich die Nunamiut-Jäger darin einig, dass Wölfe eine große Zahl schwächerer Tiere töten und dadurch für eine gesunde Karibupopulation nützlich sind. Sie sind außerdem unerschütterlich der Auffassung, dass ein erfahrener, erwachsener Wolf in halbwegs gesunder Verfassung praktisch jedes Karibu töten kann, das er will – mit Ausnahme von einem Tier, das sich ins tiefe Wasser flüchtet. Wenn im
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