Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
aufgeschwungen, zumal uns andere Wolfsbeobachter immer wieder versicherten, dass sie in den letzten Jahren niemals so viele Wölfe auf einmal gesehen hätten.
Aber es sollte noch besser kommen. Wenige Kilometer weiter stießen wir auf zwei Wölfe, die gerade eine Wapiti-Hirschkuh gerissen hatten. Die große Hirschherde stand noch eng zusammengedrängt und beobachtete die Wölfe, ebenso wie eine kleine Gruppe von vier Hirschkühen, die die Wölfe vermutlich von der Herde abgetrennt und aus deren Mitte sie sich ihre Nahrung geholt hatten.
Beide Wölfe waren gerade dabei, den Hirsch aufzureißen und so in ihre Arbeit vertieft, dass wir leise auf der Straße anhalten und aussteigen konnten – weniger als einen Kilometer entfernt. Wir beobachteten die Tiere eine Weile, und keiner von uns wird wohl die glücklichen, blutverschmierten Gesichter der Wölfe vergessen, als sie ab und zu von ihrem Fressen aufsahen.
Eines der Tiere trug ein Radiohalsband. Im Yellowstone-Nationalpark sind zurzeit sechsundzwanzig Wölfe in sieben Familienverbänden mit Radiohalsbändern ausgestattet. Die Wölfe werden mit einem Betäubungsgewehr aus einem Helikopter beschossen. Wenn sie dann schlafe, werden sie untersucht und ihnen wird Blut abgenommen. Dann erhalten sie ein Radiohalsband mit einem Sender. Die ganze Prozedur dauert maximal eine halbe Stunde und führt zu keinerlei Verletzungen bei dem Tier.
Nachdem unsere Wölfe sich die Bäuche vollgeschlagen hatten, verließen sie ihren Kadaver um ihn – zumindest für eine kurze Zeit – den Kojoten, Adlern und Raben zu überlassen.
Auch wir nutzten die Ruhepause zu einem Mittagessen und einer Besichtigung der heißen Quellen und Sinter-Terrassen in Mammoth Hot Springs im Norden des Yellowstone-Parks. Aber trotz all der landschaftlichen Sehenswürdigkeiten hielt es uns hier nicht lange. Wir wollten wieder zurück zu den Wölfen.
Da wir hofften, dass sie gegen Abend zurückkehren würden, trafen wir dann am späten Nachmittag erneut an unserem Aussichtspunkt in der Nähe des Kadavers ein. Und wieder verwöhnte uns das Glück. Die Wölfe waren da und machten sich über das her, was ihnen die Kojoten und Adler noch übrig gelassen hatten. Anscheinend hatte es sich auch bei den Adlern herumgesprochen, dass hier Futter lag, denn inzwischen hatten sich mindestens sechs Weißkopfseeadler auf den Bäumen um den Kadaver herum niedergelassen und warteten geduldig.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit beobachteten wir die Wölfe. Fasziniert von diesem einmaligen Schauspiel blickte unsere kleine Gruppe am Straßenrand durch Telelinsen und Ferngläser – voll auf die Wölfe konzentriert. In diesem Augenblick hätten wir fast den Kojoten verpasst, der nur etwa zwei Meter von uns entfernt gemächlichen Schrittes an uns vorüberzog. Erst als einer der Mitbeobachter kurz und scharf den Atem einzog, entdeckten wir den „Trickster“, wie der Kojote von den Indianern genannt wird, und erstarrten zu Salzsäulen. Niemand wagte zu atmen, geschweige denn sich zu bewegen. Der Kojote hielt kurz inne, zögerte, entschied sich aber dann doch, dass wir keine Bedrohung waren, und setzte unbeirrt seinen Weg fort. Erst als er außer Sicht- und Hörweite war, brach das Eis, und keiner konnte sich ob so viel Dreistigkeit beruhigen. Sicher hatten wir (Menschen und Kojote) in den vergangenen Minuten eine filmreife Darstellung geboten.
Bei einem ordentlichen Steak-Dinner unterhielten wir uns an diesem Abend noch lange über den aufregenden Tag.
Auch an den nächsten Tagen waren wir dann wieder von der Morgendämmerung bis zum Einbruch der Dunkelheit auf den Beinen. Wir beobachteten noch einmal die Wölfe, diesmal auf der erneuten, leider vergeblichen Jagd auf einen Hirsch. Von dem Wapiti, den die Tiere am Tag zuvor gerissen hatten, war bis auf ein paar abgenagte Knochen nichts mehr übrig. Die Adler und Raben hatten sich den Rest geholt.
Jeden Morgen pünktlich um sieben Uhr kreuzte eine kleine Herde Wapitihirsche – die „Junggesellen“, wie wir sie nannten – unseren Weg. Wenn wir anhielten, um sie zu fotografieren, trabten sie in schnellem Schritt mit ihren riesigen Geweihen auf dem stolz erhobenen Haupt davon. Auch sie waren durch die Anwesenheit der Wölfe scheuer geworden, hatten sie doch in den Jahren vor 1995 nur die Kojoten zu fürchten. Für die ersten Wölfe, die aus Kanada hierher gebracht worden waren, muss es das reinste Schlaraffenland gewesen sein. Keine Verfolgung mehr durch Jäger, und die Wapitis,
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