Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
Tiere in ihrem natürlichen Verhalten möglichst nicht zu stören.
So konnte sich die Fotoausbeute des ersten Tages sehen lassen: jede Menge Tiere: Kojoten in allen Lebens- und Liebeslagen, Wapitis, Weißkopfseeadler, Gabelhornantilopen und unzählige Bisons – aber noch keine Wölfe.
Inzwischen wussten wir ungefähr, wo sich die Wölfe zuletzt aufgehalten hatten. Wir hatten einige andere Wolfsbeobachter entlang der Straße getroffen und mit Biologen gesprochen, die mit einer Telemetrieantenne auf den Spuren der Kaniden waren.
Und so brachen wir am nächsten Tag schon früh morgens noch in der Dunkelheit auf. Unser Allradwagen zog eine frische Spur durch den tiefen Schnee, der über Nacht gefallen war, und es dauerte nicht lange, bis wir die ersten Kojoten sahen, die gerade einen jungen Hirsch gerissen hatten. Wir beobachteten sie eine Weile und fuhren dann weiter. Kurze Zeit später trafen wir auf eine andere Gruppe Frühaufsteher, die ebenfalls auf der Suche nach Wölfen waren.
Wolfsbeobachter sind eine neue Sorte der „Touristenspezies“, mit denen die Parkverwaltung zu tun hat, nachdem 1995 die ersten vierzehn Wölfe aus Kanada in den Park geflogen worden waren und 1996 weitere siebzehn. Erst waren es nur wenige, und während sich die Nachricht verbreitete, kamen Hunderte. Der Park hatte keinen Plan und keine finanziellen Mittel für die Hobbybiologen. Aber die Wolfstouristen konnten sich sehr gut um sich selbst kümmern, und unter ihnen entstand eine Art „ethisches Bewusstsein“. Wenn jemand zu laut war, die Autotür zuschlug oder versuchte, sich den Wölfen zu nähern, wurde er von einem oder mehreren aus der Gruppe zurückgehalten und aufgeklärt. Außerdem waren sie den Biologen des Parks eine große Hilfe, da vier oder zehn Augen oft mehr sahen als zwei und sie wertvolle Auskünfte über den Verbleib der Wölfe geben konnten.
Auch wir trafen immer wieder diese „Wolfgroupies“. Viele von ihnen verbringen ihre gesamten Ferien damit, die Tiere zu beobachten. Wann immer wir eine kleine Gruppe von Menschen am Straßenrand stehen sahen, die bestens ausgerüstet mit großen Fernrohren angestrengt in eine Richtung schauten, hielten wir an. Schnell wurden wir aufgeklärt, wo die Wölfe gesichtet worden waren. Und während wir alle gemeinsam warteten, dass sie wieder auftauchten, tauschten wir Geschichten aus.
Bei einer solchen Versammlung sahen wir dann endlich auch unsere ersten Wölfe im Yellowstone-Nationalpark. Nur mit dem Fernglas waren sie am gegenüberliegenden Berghang auszumachen. Fünf Wölfe, die durch den dichten Wald liefen und nur gelegentlich zwischen den Bäumen zu sehen waren. Aber auch aus der Ferne konnten wir sehen, wie groß und kräftig die Tiere waren. Es handelte sich um die Druid-Wolfsfamilie, die hier im Lamar-Valley ihr Revier hatte. Die Aufregung in der kleinen Beobachtergruppe am Straßenrand war groß und das Gedränge um das Fernrohr dicht. Und jeder, der hindurchblickte, bekam plötzlich glänzende Augen. Das war es, wofür wir hierher gekommen waren: die Wölfe von Yellowstone!
Der Yellowstone-Nationalpark gilt als das einzige völlig intakte Ökosystem Nordamerikas, und das Lamar-Valley ist seit 4000 Jahren in seiner Artenvielfalt unberührt. Alle Tiere der Nahrungskette waren hier vorhanden – bis auf die Wölfe. Erst seit der äußerst umstrittenen und von Ranchern heftig umkämpften Wiederansiedlung ist die Nahrungskette wieder vollständig. Mit Ausnahme von zwei Todesfällen in den letzten Jahren geht es der Wolfspopulation inzwischen hervorragend. Während unserer Anwesenheit (im Februar 2000) befanden sich einhundertsechzehn Wölfe im Park. Für Biologen ist dies eine noch nie da gewesene Gelegenheit zu beobachten, wie eine Tierart lernt, in neuem Lebensraum zu überleben, und welche Auswirkungen dies auf die anderen Tierarten hat. Im Laufe der letzten Jahre gab es viele Überraschungen, als die Wölfe umherwanderten, neue Familienverbände formten, Territorien bildeten und viele überzählige Hirsche töteten.
Die bekannteste Wolfsgruppe im Park, die Rose-Creek-Familie, konnten wir kurze Zeit später in etwa fünf Kilometer Entfernung auf einer gut einsehbaren freien Bergkuppe beobachten. Vierzehn(!) prächtige, meist schwarze Wölfe lagen zusammen, ruhten sich aus oder spielten gelegentlich, bis sie nach fast zwei Stunden in Reih und Glied weiterzogen und unserem Blick entschwanden.
Unser Adrenalinspiegel hatte sich inzwischen zu ungeahnten Höhen
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