Mit den Augen eines Kindes
schloss: «Ich weiß, was ich Ihnen abverlange. Und ich hätte Verständnis dafür, wenn Sie ablehnen, Frau Koska noch einmal zu treffen.»
Ja, natürlich. Er hätte Verständnis heucheln und ich so tun können, als sei ich ein zivilisierter Mensch. Eine Affäre, ja, aber um Gottes willen keine schmutzige. Ich hätte vielleicht sogar glauben können, nur reagiert zu haben, wie jeder normal empfindende Mann in solch einer Situation reagieren musste. Entrüstet, voller Ablehnung und Rückbesinnung auf die bürgerliche Moral. Und wenn ich nicht ablehnte, wenn ich es wider Erwarten sogar schaffen sollte, einen hochzukriegen, durfte ich mir einreden, dass ich nur noch für Ella Godberg «alle meine Entchen» spielte. Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh, damit Maren nur ja nicht misstrauisch wurde.
Nach den letzten Tagen, den Schuldgefühlen der vergangenen Nacht und der Degradierung der allerletzten Stunden kam es nicht mehr darauf an, ob ich mir einen Verweis einhandelte. Entgegen meiner Vereinbarung mit Jochen, allerdings ohne ihn zu erwähnen, erzählte ich, dass ich in der Nacht in Koskas Haus gewesen war und was ich im Keller entdeckt hatte. Vielleicht war es ein letzter, verzweifelter Versuch, mich selbst in die Wüste zu schicken. Aber Schmitz runzelte ob meines Alleingangs nur für eine Sekunde die Stirn. Dann ging er und sorgte dafür, dass ich in Ruhe und völlig ungestört meine Entscheidung treffen konnte, ob ich die mir zugedachte Rolle übernehmen wollte oder nicht.
Rundum hing etwas in der Luft wie elektrische Spannung, vielleicht nur meine eigene Nervosität, das Bewusstsein, abgeschottet zu werden von der Anspannung und den Bemühungen der anderen. Auch wenn ich nicht sofort in sämtliche Maßnahmen oder Erkenntnisse eingeweiht wurde, weiß ich natürlich, was vorging. Fast alles konzentrierte sich auf diese eine Sache. Der gesamte Polizeiapparat – nicht nur der des Erftkreises – arbeitete seit dem frühen Morgen auf Hochtouren.
Schmitz hatte einiges an technischem Gerät aus Düsseldorf mitgebracht beziehungsweise bringen lassen. Richtmikrophone, Aufzeichnungsgeräte, Videokameras. Er ließ Telefonleitungen und Computer heiß laufen, kontaktierte das BKA und Interpol, um hinter die Identität der Ratte zu kommen. Der Hinweis auf eine medizinische Ausbildung und auf Jugoslawien schien es wert, dass man ihm nachging.
Natürlich hatte Schmitz, bevor er sich mit mir beschäftigte, auch bereits Dampf beim LKA Hamburg gemacht. Und siehe da, plötzlich fanden sie die Zeit, nicht nur ihr Bildmaterial zu sichten. In Helmut Odenwalds schöner Wohnung an der Außenalster hatten sie keine Fotos gefunden, nicht ein einziges. Da hatte wohl schon vor ihnen jemand gründlich eingesammelt, was den Verdacht untermauerte, er sei untergetaucht.
Fingerabdrücke und DNA-Material von drei verschiedenen Personen hatten sie sichergestellt. Die Abdrücke wurden zusammen mit Laborberichten und zwei im vergangenen Sommer entstandenen Gruppenfotos übermittelt, auf denen Odenwald sich befinden sollte. Leider hatte man in der Eile versäumt, ihn zu markieren. Vielleicht hatten sie das auch für überflüssig gehalten, weil ein Mann auf beiden Aufnahmen abgebildet war und seine Gesprächspartner um Haupteslänge überragte.
Fünf Männer standen zur Auswahl, keiner trug einen Vollbart. Ich schätze, ich wäre mir trotzdem sicher gewesen. Nur wurde ich nicht um meine Meinung gebeten. Fred Pavlow musste passen. Und ehe man Alex Godberg die Gruppenfotos vorlegen könnte, würden noch etliche Stunden vergehen. So lange wollte Schmitz nicht warten. Es gab ja noch einen Zeugen, meinen Sohn.
Helga Beske fuhr los, um Olli abzuholen. Nicht einmal darüber wurde ich informiert. Hanne kam natürlich mit und meinte später, es habe ihm gut gefallen, auch wenn Helga Beske ihn nicht mit Tatütata kutschieren durfte, ein Blaulicht konnte sie ihm bieten auf freier Strecke.
Dann nahm Olli sich der Sache an. Die nackten Gesichter sagten ihm nichts. Mit Hilfe der Technik ließ Andreas Nießen, für den man sonst keine Verwendung hatte, üppige Bärte sprießen. Olli schaute fasziniert zu und schüttelte unentwegt den Kopf. Nein, nein, der Rex sah ganz anders aus. «Darf ich das mal selber probieren? Ich mach nix kaputt. Ich weiß, wie man mit einem Computer arbeiten muss. Der Papa von Sven hat ein Spiel auf seinem, da durfte ich auch schon mal.»
Und dann erstellte Olli – unter Anleitung und den argwöhnisch-aufmerksamen
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