Mit den Augen eines Kindes
Münzsammlung zum Beispiel hatte er zweihunderttausend weniger bekommen. Und er hatte den Fehler gemacht, Maren zu erklären, die Sammlung habe einen Wert von rund achthunderttausend, als er sie mit Bestechung auf seine Seite ziehen wollte. Entsprechend enttäuscht hätte sie gestern abend reagiert, als er mit nur sechshundert nach Hause kam. Sie hätte sofort Rex verständigt und sich bitter beschwert, dass sie wohl entschieden länger als gedacht auf seine Nähe verzichten müsse.
Insgesamt fehlte noch eine Viertelmillion, auf die Maren dem Anschein nach gerne verzichtet hätte, die Odenwald aber unbedingt haben wollte. Alex, der nicht wusste, dass inzwischen das LKA ermittelte, hatte sich bei Jochen erkundigt, ob die Polizei vielleicht erst mal in dieser Hinsicht helfen könne.
Als ich das hörte, musste ich unwillkürlich lachen. Darüber haben Rudolf und Schmitz wohl den ganzen Abend heiß diskutiert. Eine Viertelmillion! Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Die Kassen waren leer, man durfte dem Verbrechen auch nicht Vorschub leisten. Wenn es um größere Geschichten ging, wenn politische oder religiöse Wirrköpfe ein Dutzend Geiseln irgendwo festhielten, deren Angehörige tüchtig Wirbel in den Medien machten, sah die Sache vielleicht anders aus. Für einen einzelnen Bürger dagegen, dessen Ehefrau von ganz gewöhnlichen Gangstern festgehalten wurde, konnte man nichts tun.
Man stelle sich nur vor: Der Mann gibt nach geglücktem Freikauf ein Interview und lässt dankbar verlauten, wer ihm aus der Patsche geholfen hat. Dann haben wir bald einige tausend solcher Fälle am Hals. Und wo kommen wir denn hin, wenn wir gemeinen Erpressern nachgeben?
Wohin kommt Ella, dachte ich, wenn wir es nicht tun? Wahrscheinlich zuerst in die Forensik und dann auf den Friedhof.
Jochen sah das wohl auch so. Auf ein Bier hatte er weder Lust noch Zeit. Er sollte heimfahren und ein paar Stunden auf Vorrat schlafen. Um drei in der Nacht stand ihm die Teilnahme an einem Großeinsatz bevor. Weil es nicht so voranging, wie Schmitz sich das wohl ausgemalt hatte, wollte er die Ermittlungen auf andere Weise vorantreiben.
«Jetzt stürmen wir die Bude», seufzte Jochen.
«Godbergs Haus?», fragte ich ungläubig.
«Nein, Koskas Grundstück. Sie haben noch keine
Ahnung, wer die Ratte sein könnte. Aber der wird da wohl Fingerabdrücke hinterlassen haben. Vielleicht sind die registriert.
Schmitz will sie auf jeden Fall mit denen vergleichen, die er aus Hamburg bekommen hat.»
«Dafür muss doch kein Großaufgebot rein», sagte ich. «Da soll einer vom Erkennungsdienst durch das Kellerfenster steigen.»
«Ist aber nicht die übliche Art, Beweismaterial zu beschaffen», sagte Jochen.
«Und wenn die Kerle dahin zurückkommen?», fragte ich.
«Oder wenn Maren mal hinfährt?»
Jochen zuckte mit den Achseln. «Die Kerle hätten am Sonntag die Kurve gekratzt, meint Schmitz. Und wenn die Koska nochmal losführe, hätte sie bestimmt ein anderes Ziel. Er nimmt an, dass sie im Laufe der Nacht aufbricht mit den achthunderttausend, die Godberg diese Woche eingenommen hat. Zusammen sind es eindreiviertel Millionen. Damit lässt sich ja schon was anfangen. Wenn sie sich irgendwo mit ihren Kumpanen trifft, schnappen wir alle drei. Ansonsten wird eben nur sie festgenommen.»
«Und Ella Godberg?», fragte ich.
«Ist wahrscheinlich tot», sagte Jochen.
«Blödsinn! Sie hat doch gestern noch mit Alex gesprochen.»
«Aber heute nicht», sagte Jochen. «Schmitz meint, dass Odenwald unbedingt die Viertelmillion noch haben will, sei eine Finte. Vielleicht hat die Koska das erfunden, um sich etwas Zeit für den Abgang zu verschaffen. Eigentlich müsste sie ja wissen, dass sie aus Godberg nicht mehr rauspressen können.»
«Schmitz meint», fuhr ich auf. «Hat er hellseherische Fähigkeiten? Liest er aus dem Kaffeesatz oder aus Karten?»
«Jetzt reg dich doch nicht so auf», meinte Jochen. «Konrad, du hast die Blutflecken im Kohlekeller gesehen. Auch wenn sie da wirklich nur die Kugel rausgeholt haben, glaubst du, die haben Ella Godberg anschließend gebadet, gesalbt und in ein frisch bezogenes Bett gelegt? Wenn es stimmt, dass sie in einer Kiste verbuddelt wurde und die Kerle sich abgesetzt haben, wie lange, glaubst du, kann sie überleben?»
Ehe ich ihm darauf antworten konnte, winkte er ab. «Ach, was soll’s? Es geht so oder so schief.»
Dann ging er. Ich fuhr auch nach Hause. Seit dem Sonntagmorgen, als ich nach dem Nahkampf im Golf heimgeschlichen war,
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