Mit den Augen eines Kindes
gemacht. Eins von dem kleinen Mann und eins von der bösen Frau und auch ein richtiges von Rex. Warum braucht ihr von dem noch eins? Den habt ihr doch schon totgeschossen.»
«Sieht so aus, als hätten wir den Falschen erwischt», sagte ich. «Gibst du mir mal Mama?»
«Das geht nicht», teilte Olli mit. «Sie schläft.»
Und um sie nicht zu stören, hatte er sich entschlossen, einmal zu testen, ob er auch unseren Videorecorder bedienen konnte. Er hatte ja schon oft gesehen, wie Mama das machte. Und nachdem er so erfolgreich am Polizeicomputer gearbeitet hatte, hielt er sich technisch gesehen für ein Genie. Den Fernsehton hatte er ganz leise gemacht, damit Mama nicht aufwachte.
«Was schaust du dir denn an?»
Das wusste er nicht genau, er konnte ja noch nicht lesen. Aber am Anfang war viel geschossen und gezankt worden. Und jetzt sollten bald ein paar Männer mit einer Rakete fliegen, um einen großen Stein mit Zacken zu sprengen, ehe der die Welt traf und alles kaputtmachte.
Es war sein eifriges Stimmchen, das mich einigermaßen zur Vernunft brachte oder zurück auf den Boden der Tatsachen. Dieses verflucht normale Leben, eine übermüdete Frau, ein ausgeschlafenes Kind, ein Videorecorder und ein Fernseher, in dem der einsame Held in letzter Sekunde den Weltuntergang verhinderte. Armageddon. Und Bruce Willis opferte sich, damit seine Filmtochter nicht die Liebe ihres Lebens verlor. Während seine Gefährten sich retteten, sprengte er sich mitsamt dem Asteroiden ins Universum. Ich kannte den Film. Aber ich war kein Held, nur verdammt allein.
«Wann kommst du denn nach Hause, Papa?», fragte Olli.
«Ich weiß es noch nicht», sagte ich. «Es kann spät werden.»
Ich wollte auf jeden Fall mit Jochen noch ein Bier trinken.
Er kam gegen sieben Uhr von seinem Treffen mit Alex zurück und musste zuerst zum Rapport antreten. Das dauerte eine Weile, weil es viel zu berichten gab. Ich erfuhr das alles erst nach neun.
Obwohl er ihn ausdrücklich verlangt hatte, war Alex enttäuscht gewesen, als an meiner Stelle tatsächlich Jochen erschien. In den ersten Minuten hörte Jochen von ihm nur ein paar unwesentliche Details der Farce eines Familienlebens. Abwesende Mutter wird durch liebevolle, leider sehr ungeschickte Tante ersetzt, die züchtig auf der Couch schlief, nicht kochen konnte und sich gerne mit einem völlig verängstigten Kind beschäftigte. Dass Maren den kleinen Sven immer wieder aufforderte, ihr doch etwas von seinem Freund zu erzählen, wusste Schmitz bereits. Aber ihr Interesse an meinem Sohn begründete sich für ihn in unserer Beziehung.
Dem von Schmitz zusammengestellten Fragenkatalog widmete Alex sich nur widerwillig. Wozu sollte es gut sein, jedes Lebenszeichen von Ella zu datieren, wörtlich wiederzugeben und eventuelle Hintergrundgeräusche anzuführen? Er wollte lieber reden über Ella und den Tag, an dem sie wieder bei ihm wäre.
Jochen musste ihn mehrfach energisch auf das Vordringliche verweisen. Anhand der bearbeiteten Fotografien wurde Rex endgültig als Helmut Odenwald identifiziert. In dem mit Ollis Hilfe erstellten Phantombild vom kleinen Mann erkannte Alex auch die Ratte alias den Doktor wieder.
Um die Handynummer, mit der man Odenwald hätte lokalisieren können, brauchte Jochen sich eigentlich nicht mehr zu bemühen. Aber nun nannte Alex sie freiwillig. Schmitz hatte sie jedoch über die Telekom längst in Erfahrung gebracht und damit bewiesen, dass er die Sache richtig beurteilte. Es hatte am Freitagabend eine kurze Verbindung zwischen Godbergs Hausanschluss und diesem Handy gegeben. Und warum hätte Alex Rex anrufen sollen, wenn nicht, um Maren zu verpfeifen?
Leider war die Nummer inzwischen offenbar nicht mehr aktuell. Alex hatte bis zu seinem Aufbruch am Nachmittag unentwegt vergeblich versucht, Rex zu erreichen, weil der vormittägliche Anruf, bei dem er mit Ella sprechen durfte, ausgeblieben war.
«Er war völlig am Ende», sagte Jochen.
Und das war Alex auf der ganzen Linie, körperlich, seelisch und finanziell. Alles, was einigermaßen von Wert war oder so aussah, hatte er verkauft. Für die Bilder, über die er gerade verhandelt hatte, bekäme er im Höchstfall zwanzigtausend. Seine Lagerbestände, die er in der Raststätte noch mit Stolz angeführt hatte, waren höchstens gut, um auf Trödelmärkten verramscht zu werden und damit einen neuen, bescheidenen Anfang zu machen.
Er hatte bei seinen Verkäufen nicht immer die Summen erzielt, die er gefordert hatte. Für die
Weitere Kostenlose Bücher