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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Millimeter tiefer rutschte ich ein Stückchen weiter zurück in die Vergangenheit, neun Jahre, zwanzig Jahre, zweiundzwanzig Jahre, alles noch voller Ungeduld und Entdeckerfreude. Jedes lustvolle Aufbäumen, jeder Seufzer, jedes zittrige «Konni» und das nachfolgende, lang gezogene Stöhnen hatten ein wenig vom Flair des Einzigartigen.
    Daneben verloren eine halb tote Katze, ein komplizierter Armbruch und eine angeschossene Frau, die in einem dreckstarrenden Keller einer «medizinischen Behandlung» unterzogen worden war, ihre Bedeutung. Man konnte es vergessen, man konnte es zumindest so weit von sich wegschieben, dass es fast nicht mehr wahr war. Vielleicht gelang das nur, wenn man dabei auf, unter oder hinter einer Maren Koska lag, aber dann gelang es eben, mir jedenfalls.
    Auf dem Bett im Hotelzimmer gab es nur eine Wahrheit. Dass der alte Koska und meine Eltern niemals Scharfrichter hätten spielen dürfen. Nicht das Schwert treiben zwischen zwei Körper, die doch nur eines wollten, Liebe und Lust in ihrer urtümlichsten Form. Ich hatte sie damals geliebt mit der gesamten Inbrunst meiner achtzehn Jahre, und ich hätte sie vielleicht überzeugen können, dass auch ein spießbürgerliches Leben seine Reize haben kann.
    Aber irgendwann klangen wieder Stimmen auf, ziemlich leise zu Anfang, kämpften sie sich hartnäckig und bohrend durch den Lärm, den mein Herzschlag verursachte, an die Oberfläche. Schmitz mit seinen Instruktionen und Olli: «Tante Ella hat geweint.»
    Was Schmitz anging, hatte ich meine Sache gut gemacht und nicht einmal viel dazu beitragen müssen. Sie lag mit entspanntem Gesichtsausdruck auf dem Laken. Einen Arm hatte sie über meine Brust gelegt, in der anderen Hand hielt sie eine Zigarette. Den kleinen Aschenbecher hatte sie auf meinem Nabel deponiert.
    Und was Olli und Tante Ella betraf: Konni hatte sich austoben dürfen. Jetzt meldete sich Konrad zu Wort mit seinem Polizistenverstand und dem quälenden Gefühl von Scham. Eine weit tiefere Scham als am Morgen nach dem Klassentreffen. Da hatte ich mich ja im Prinzip gar nicht geschämt, nur ein entsetzlich schlechtes Gewissen gehabt. Das hatte ich jetzt nicht, dafür hatte ich Angst und das Gefühl, etwas äußerst Zerbrechliches in den Händen zu halten. Ellas Leben.
    Sieh zu, dass du hier rauskommst, ehe du einen Fehler machst, dachte ich. Nein, du kannst nicht einfach abhauen, da wird sie vielleicht misstrauisch. Sprich lieber mit ihr. Aber worüber? Bisher hatte immer sie zu sprechen begonnen, mir Fragen nach Olli gestellt. Und jetzt schwieg sie, schien darauf zu warten, dass ich etwas sagte. Was denn, zum Teufel? Irgendetwas Unverfängliches, völlig Harmloses.
    «Wie lange wirst du noch hier sein?»
Das war harmlos und völlig unverfänglich, fand ich. Es war die bange Frage eines Mannes, der den besten Sex seines Lebens schwinden sieht. Sie drehte mir das Gesicht zu, betrachtete mich mit einem undefinierbaren Blick, einem winzigen, wehmütigen Lächeln und Schweigen.
    «Ich frage nur», sagte ich, «weil ich wissen möchte, ob ich meinem Sohn für Sonntag einen Besuch im Zoo versprechen darf. Bisher habe ich solche Versprechen immer halten können. Ich möchte ihn nicht enttäuschen.»
    Ich dachte, auf Olli würde sie anspringen, tat sie aber nicht. Sie zog den Arm von meiner Brust zurück. Ihre Hand mit der Zigarette schwebte über meinem Bauch, senkte sich, verfehlte den Aschenbecher. Die Glut strich schmerzhaft über meine Haut und versengte ein paar Härchen. Sie lächelte immer noch wehmütig, richtete sich auf, stützte den Oberkörper mit einem Ellbogen ab und schaute auf mich herunter. «Ich weiß nicht genau, wie lange ich noch hier sein werde. Das hängt nicht von mir ab.»
    «Kann ich mir denken», sagte ich. «Aber letzten Sonntag hat dein Mann dich ja auch nicht am Herd festgebunden. Und da dachte ich …»
    «Es hängt auch nicht von Rex ab», unterbrach sie mich.
    «Von wem dann?» In meinen Ohren klang das nur neugierig.
Jetzt grinste sie endlich, sehr flüchtig nur und sehr überheblich. «Von Alex, aber das weißt du doch längst, Konni. Er behauptete jedenfalls am Mittwochabend, er hätte dir gesagt, dass er das Geld noch nicht beisammen hat.»
Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Ich spürte Übelkeit aufsteigen. Mittwochabend, da hatte es noch kein Richtmikrophon in Kremers Küche gegeben. Niemand hatte gehört, was in der Nacht zwischen ihr und Alex vorgegangen war. Wir hatten uns auf unseren Eindruck

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