Mit den Augen eines Kindes
nie nötig, mich auf diese Weise einzuprägen.»
Dann erhob sie sich, der Katalog blieb aufgeschlagen auf der Couch zurück. Inzwischen saß ich längst in einem Sessel. Hanne ging an mir vorbei zur Tür, aufrecht, stolz, unverwundbar, das Selbstbewusstsein der modernen jungen Frau wie einen Stacheldrahtzaun um sich gezogen. Bei der Tür drehte sie sich noch einmal um. «Was uns beide angeht, das klären wir, wenn ich mit Ella oder Alex gesprochen habe. Ich werde morgen runterfahren und nicht eher von der Tür …»
«Bist du wahnsinnig?», fuhr ich sie an. «Hast du nicht verstanden, was ich sagte? Maren ist wahrscheinlich bei ihm. Du wirst überhaupt nichts tun. Das fehlt mir noch. Was da zu tun ist, überlassen wir Leuten, die etwas davon verstehen.»
Hanne starrte mich aus zusammengekniffenen Augen und mit gerunzelter Stirn an. Dann fetzte ein Donnerschlag durch das Wohnzimmer, der Blitz schlug direkt zu meinen Füßen ein.
«Schrei mich nicht an! Was bildest du dir ein, du gemeiner Kerl? Willst du Oliver Konkurrenz machen? Erzählst mir eine haarsträubende Geschichte und denkst, ich nehme das hin? Da hast du dich aber geirrt. Damit ist die Sache nicht vom Tisch, damit nicht. Oder willst du mir weismachen, du hättest Maren aus lauter Diensteifer gevögelt? Für Schwerverbrechen bist du doch gar nicht zuständig. Das hättest du ihr mal sagen sollen.»
Sie holte nicht einmal Luft zwischen den einzelnen Sätzen.
«Wer bespitzelt denn hier wen? Hat sie sich nur nochmal an dich rangemacht, weil sie von Sven gehört hat, wer Olivers Vater ist? Da sollten wir uns aber fragen, ob sie von alleine auf die Idee gekommen ist. In Zuhälterkreisen ist es ja üblich, die eigene Freundin als Lustobjekt einzusetzen. Da spielt es keine große Rolle, ob man Geld dafür bekommt oder Informationen. Erhoffen sie sich Einblick in die Ermittlungen, falls es welche geben sollte? Sag ihr beim nächsten Mal, dass man beurlaubt wird, wenn man Tatverdächtige besteigt. Dann verliert sie garantiert das Interesse an dir und macht sich lieber an den Leiter vom KK elf ran.»
Bevor ich dazu kam, über all das nachzudenken, drehte Hanne sich um, ging ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu. Ich folgte ihr, öffnete die Tür wieder und wollte etwas sagen. Sie zerrte sich gerade die Jeans vom Leib. Die Pumps lagen bereits vor der Badewanne, ihre Bluse auf dem Toilettendeckel. Die Jeans flog in die Ecke neben der Waschmaschine. Sie stand vor mir in Büstenhalter, Slip und Strümpfen, die von weißer Spitze oben gehalten wurden. Das hatte ich auch noch nicht an ihr gesehen, aber Ludwigs Frau trug solche Dessous, von ihr stammte wahrscheinlich auch der Katalog.
«Pass auf, dass dir nicht die Augen aus dem Kopf fallen», zischte Hanne. «Dein Bedarf für heute dürfte doch gedeckt sein.»
Dann drehte sie sich zum Waschbecken um, öffnete den Wasserhahn und erklärte dabei: «Ich hätte ohnehin eine Pillenpause machen müssen. Jetzt sparen wir auch noch die Kondome. Das trifft sich ganz gut, Gummis hasse ich. Bilde dir nicht ein, dass ich dich vor die Wahl stelle, sie oder ich. Ich werde dir nicht den Koffer vor die Tür setzen, wie deine Mutter es mir wärmstens empfohlen hat. Für eine Nutte räume ich doch nicht das Feld. Da müsste ich ja Prügel bekommen. Ich hab schließlich ein Kind und verdiene nicht die Welt. Tob dich ruhig aus, der Spaß kostet ja nichts. Ihre anderen Freier kommt das garantiert teurer.»
Und all das ohne einen Blick. Ihre rechte Hand prüfte unentwegt die Wassertemperatur, wedelte hin und her, ungeduldig, herzergreifend. Eine Hand, die verzweifelt nach der Kante tastete, um nicht vollends abzustürzen. Endlich schien das Wasser richtig temperiert. Hanne beugte sich vor, warf sich zwei Hände voll ins Gesicht, verschmierte das ganze Make-up und reckte mir dabei ihr spitzenverpacktes Hinterteil entgegen.
Wenn sie wild fauchend und mit gewetzten Krallen auf mich losgegangen wäre, hätte die Wirkung nicht durchschlagender sein können. Ich war nicht mehr müde, und unser Badezimmer war nicht sehr groß. Ich brauchte nur einen Schritt zu tun, dann stand ich hinter ihr und fasste mit beiden Händen zu. Sie stemmte sich mir entgegen und murmelte: «Wenn das Weib dich mit irgendwas angesteckt hat, bringe ich sie um.»
Montag, 2. Juni
Kurz nach sechs bemühte ich mich, von Oliver zu erfahren, was nun genau sich eine Woche zuvor bei seinem Freund abgespielt hatte. Mit blanken Augen saß er vor seinem Teller und rührte
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