Mit den Augen eines Kindes
großen, kräftigen Mannes auszumachen gewesen.
Ende April hatte Fred Pavlow auch einmal einen zweiten Mann auf dem Gelände gesehen. Leider nur flüchtig und aus einiger Entfernung, weil er sich nicht mehr aufs Grundstück traute, nur regelmäßig daran vorbeischlenderte, um zu sehen, ob nicht doch noch Autos gekauft und verkauft wurden. Der zweite Mann – es hätte auch ein Jugendlicher sein können – stand bei dem Nissan und bückte sich, als schaue er sich die Reifen an. Fred Pavlow hatte nur für zwei Sekunden einen Kopf über Autodächern gesehen und gedacht, es handle sich um einen Kaufinteressenten.
Eventuell bei der Erstellung von Phantombildern behilflich zu sein, traute Fred Pavlow sich nicht zu. An das Kennzeichen des Ferrari, in dem Maren kurz vor dem Tod ihres Vaters angereist war, erinnerte er sich auch nicht mehr. Es war eine Hamburger Nummer gewesen, das wusste er noch.
Damit und mit dem Namen Helmut Odenwald ließ sich etwas anfangen. Andreas Nießen brauchte nur wenige Minuten, um in Erfahrung zu bringen, dass Marens große Liebe keineswegs im Oktober 2002 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Helmut Odenwald war bislang auch nicht beerdigt worden. Der Ferrari stand seit Monaten ohne eine Schramme auf einem Gelände, zu dem nur LKA-Beamte Zutritt hatten. Und sein Besitzer stand auf der Fahndungsliste, leider ohne Foto.
Einiges von dem, was Maren mir über Rex erzählt hatte, traf auf Helmut Odenwald zu. Er war zwei Jahre jünger als sie und hatte – jedenfalls bis Oktober – an der Außenalster gewohnt. Inhaber eines Clubs war er jedoch nicht gewesen, nur ein Strohmann, wie das LKA Hamburg es ausdrückte.
Den Anruf dort ließ Andreas Nießen sich nicht streitig machen. Er wurde dreimal weiterverbunden und geriet dann an einen Beamten, der zwar etwas gönnerhaft, aber sehr auskunftsfreudig war. Geschäftsführer eines so genannten Saunaclubs war Helmut Odenwald gewesen, Rotlichtmilieu. Die Besitzverhältnisse waren diffus. Das LKA hatte eine Gruppe von osteuropäischen Staatsbürgern im Visier, die lieber im Hintergrund blieben. Seit über einem Jahr wurde diese Gruppe schon observiert, weil sie im Verdacht stand, mit Rauschgift, Waffen und Menschen zu handeln und den Club nur zu betreiben, um darin einen Teil ihrer Schmuggelware, nämlich junge Frauen aus Russland, arbeiten zu lassen und den Einkünften aus anderen illegalen Geschäften einen einigermaßen soliden Anstrich zu verpassen.
Da mochte Odenwald gedacht haben, seine Bosse verdienten mehr als genug. Laut Aussage eines Barkeepers
– ja, eine Bar gab es auch, nach einem Saunagang war man ja durstig – hatte Odenwald die Herren aus Osteuropa bei den Abrechnungen tüchtig beschummelt und war verpfiffen worden. Von einer jungen Russin namens Tamara, die sich illegal in Deutschland aufgehalten und in der Sauna gearbeitet hatte. Odenwald sollte Tamara ziemlich mies behandelt haben, Prügel und mehrfache Vergewaltigung, einarbeiten nannte man das in dem Gewerbe.
Tamara war Mitte Oktober zuletzt gesehen worden. Anfang November hatte man ihre in ziemlich viele Einzelteile zerlegte Leiche aus der Elbe gefischt. «Die war zu Hundefutter verarbeitet», hieß es wörtlich. Ob Helmut Odenwald etwas mit dem entsetzlichen Tod der bedauernswerten jungen Frau zu tun hatte, war nicht hundertprozentig gesichert. Bei einer Prostituierten kamen auch noch andere Täter infrage. Aber da er zum gleichen Zeitpunkt aus Hamburg verschwunden war wie sie, hätte man sich doch gerne einmal mit ihm über Tamara und noch lieber über die Machenschaften der wahren Clubbesitzer unterhalten.
Ob Helmut Odenwald auf den markigen Spitznamen Rex gehört hatte, konnte der LKA-Beamte Andreas Nießen nicht sagen. Und erst nach dieser Frage wunderte er sich über das Interesse einer kleinen Polizeidienststelle an solch einem Kaliber. Wie hatten wir denn von Odenwald erfahren? Hatten wir auch Probleme mit den Russen? Wo saßen wir überhaupt?
Hürth, wo war das? Im Erftkreis. Und wo lag der? In der Nähe von Köln. Ach so, am Rhein. Nein, an der Erft. Das war kein Vergleich zur Elbe und sagte dem Nordlicht geographisch nicht viel.
Dass Helmut Odenwald sich eventuell in unserem Zuständigkeitsbereich aufhalten könnte, hielt er für ausgeschlossen. Er lachte richtig herzhaft. Nicht jeder, der Ferrari fuhr, hatte etwas mit Kerpen zu tun. Odenwald sei entweder von seinen Bossen zur Rechenschaft gezogen und gründlicher entsorgt worden als die junge Russin.
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