Mit den Augen eines Kindes
jedenfalls kam es ihm so vor. Er dachte schon, er könne sie auf seine Seite ziehen, machte ihr ein Angebot. Achthunderttausend, wenn sie ihm sagte, wohin seine Frau gebracht wurde. So viel war die Münzsammlung wert, und die gehörte ihm.
Aber sie lachte ihn aus und erging sich in der genüsslichen Schilderung des Ortes, an dem Ella sich die nächsten Tage und Nächte aufhalten müsse. Eine Kiste, gemütlich ausgepolstert und irgendwo im Waldboden versenkt. Eine dünne Schicht Erde darüber, natürlich auch ein Rohr, um die Sauerstoffzufuhr zu gewährleisten. Ella müsse jedoch nicht unnötig leiden. Sie werde zweimal täglich versorgt und erhalte jedes Mal eine neue Dröhnung, sodass sie die meiste Zeit schlafe und gar nicht richtig mitbekomme, wo sie gefangen gehalten werde.
Nach Einbruch der Dunkelheit kam die Ratte noch einmal – allein und durch den Garten, wie sich das für eine Ratte gehörte, waren ja vorsichtig, diese Biester. Das Weib bekam fünf oder sechs Prepaid-Karten für ihr Handy. Alex musste das seine abliefern, damit er nicht auf dumme Gedanken kam, wenn er unterwegs war. Die Ratte versicherte ihm, den kleinen Eingriff habe Ella bereits überstanden, sei aber von der Narkose noch sehr benommen.
Seinen Worten zufolge lag Ella noch nicht in einer Kiste, werde jedoch in einer solchen an einem absolut sicheren Ort untergebracht, sobald sie sich etwas erholt habe. Alex solle sich in den nächsten Tagen, wenn er das Haus verlasse, um seine Verkäufe zu tätigen, beim Anblick eines Telefons vor Augen halten, dass seine hilflose Frau elend zugrunde ginge, wenn man ihre Frischluftquelle entferne. Und beim geringsten Anzeichen einer polizeilichen Aktivität träte dieser Fall ein.
Am Dienstagmorgen rief Rex auf Marens Handy an. Alex durfte kurz mit Ella sprechen, erfuhr dabei natürlich nichts über ihren Aufenthaltsort, nur dass die Ratte bezüglich ihres Arms offenbar die Wahrheit gesagt hatte. Ella bestätigte, die Kugel sei gestern Nachmittag entfernt worden, sie könne die Finger bewegen, habe keine Schmerzen, sei nur sehr müde.
Alex verbrachte den Tag am Telefon, versuchte zuerst, die Schuldscheine einzulösen, nahm aber auch schon Kontakt mit möglichen Kaufinteressenten für diverse Wertgegenstände auf. Hanne nervte mit ihren Versuchen, in Erfahrung zu bringen, was geschehen war. Maren stand unentwegt neben ihm, überwachte jedes Gespräch und nörgelte, weil sie sich nicht umziehen konnte. Sie hatte nicht mal Unterwäsche zum Wechseln dabei, wühlte in Ellas Kleiderschrank, aber Ellas Sachen passten ihr nicht.
Um halb drei gestattete sie ihm, Hanne anzurufen, um in Erfahrung zu bringen, ob der Kleine daheim geplaudert habe. Danach verlor sie das Interesse an seinen Telefonaten, baute wohl auf seine Angst um Ella und verlangte ihm den Autoschlüssel und die Wagenpapiere ab. Sie müsse sich etwas zum Anziehen kaufen, erklärte sie und fuhr weg.
Gegen sieben Uhr kam die Ratte, wieder durch den Garten. Maren war noch nicht zurück. Die Ratte musste eine Weile warten. Alex erfuhr, dass Rex mehrfach vergeblich versucht hatte, «seine Frau» zu erreichen, ihr Handy war anscheinend nicht in Betrieb. Und bei einem Einkaufsbummel musste man das nicht ausschalten. Als sie endlich zurückkam – in anderer Kleidung und mit der Kaufhoftüte, die ich im Hotelzimmer gesehen hatte, riss die Ratte ihr die Tüte aus der Hand und kontrollierte den Inhalt. Die Neuerwerbungen waren feucht, die Sachen, in denen sie losgezogen war, noch pitschnass. Die Ratte setzte ihr mächtig zu, um in Erfahrung zu bringen, wie das passiert war.
Was die Ratte mit ihr anstellte, erklärte Alex nicht, das hatte sie mir ja gesagt. Mit dem Kopf ins Klo und die Spülung abgezogen. Alex grinste nur flüchtig. «Ich bin kein Sadist, aber das habe ich genossen. Nur lässt dieses Biest sich nicht unterkriegen. Als sie wieder genug Atem hatte, hat sie der Ratte erzählt, sie habe nur versucht, in Erfahrung zu bringen, ob …»
Er stockte, setzte neu an: «Ob …», brach wieder ab, schaute mich an und schluckte trocken. «Es ging um Oliver. Sie hat nicht lange gebraucht, um seinen Namen aus Sven herauszuholen. Und sie meinte, man müsse nicht unnötig Beete zertrampeln. Sie habe sich umgehört, der Kleine habe den Mund gehalten. Die Ratte sagte, sie solle sich nicht um Dinge kümmern, die sie nichts angingen. Dann gab er mir eine Telefonnummer. Ich sollte Rex anrufen, wenn sie nochmal auf Tour geht und länger
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