Mit der Hoelle haette ich leben koennen
ohne ein konkretes Ergebnis. Wenige Stunden nach unserer Ankunft machten wir uns vollkommen verstört und sowohl körperlich wie auch seelisch am Rande unserer Kräfte auf den Rückweg ins Camp.
Unterwegs fuhren meine Emotionen mit mir Karussell, gern hätte ich die ganze Fahrt über geschrien. Stattdessen saß ich zusammengesunken da und starrte apathisch ins Leere, während es in meinem Inneren tobte. Dass ausgerechnet ich diesen Horror überlebt hatte, ließ meine Schuldgefühle ins Unermessliche wachsen …
Tags darauf klingelte der Wecker wie fast jeden Morgen um kurz vor sechs. Die Abfahrt in ein weiteres Bergdorf, wo wir ebenfalls eine Verabredung mit einem Dorfältesten hatten, war für sieben Uhr angesetzt, weshalb das Frühstück ausfallen musste. Ich bedauerte es nicht, denn wir bekamen seit Tagen allmorgendlich die Restbestände an Hartkeksen der Justizvollzugsanstalt vorgesetzt.
Gegen zehn Uhr erreichten wir das Dorf, das bestimmt tausend Meter über dem Meeresspiegel lag. Ein Filmteam des WDR begleitete uns. Es sollte dokumentieren, wie effektiv die Arbeit der Bundeswehrsoldaten im Einsatz war.
Der hiesige Dorfälteste empfing uns am Ende der Hauptstraße und führte uns in sein Haus. Offiziell bestand meine Aufgabe wieder darin, ihn zur UÇK, deren Kämpfer auch in seinem Dorf gewütet hatten, zu befragen. Allerdings kamen wir gar nicht dazu, denn die Fragen, die der Reporter des WDR auf dem Herzen hatte, drehten sich um ganz andere Themen. Der Dorfälteste gab willig Auskunft über den Ackerbau, die Dorfschule und die Errichtung des Brunnens, mit der die Bundeswehr vor wenigen Tagen begonnen hatte.
Er war ein alter Mann mit einem groben, von tiefen Furchen gezeichneten Gesicht. Doch als er uns von den Zeiten erzählte,
in denen er in seiner Jugend mithalf, die Dorfschule zu bauen - da leuchteten seine Augen mit den Sternen um die Wette.
Während ich seinen Ausführungen lauschte, kamen ohne jede Vorwarnung böse Erinnerungen an die beiden Mädchen in mir hoch. Doch obwohl ich beinahe damit rechnete, dass mich auch in diesem Bergdorf wieder ein ähnliches Horrorerlebnis erwartete, blieb es an diesem Tag aus.
Die Tochter des Hauses servierte uns traditionsgemäß Mokka und auch etwas zu essen. Da wir uns sehr sympathisch waren, wurde das Gespräch immer persönlicher. Als mich der Dorfälteste nach den Zuständen im Camp fragte, antwortete ich: »Na ja, die Verpflegung dort ist schon ein wenig dürftig.«
»Das kann ich kaum glauben«, sagte er ziemlich entsetzt.
Seine Tochter, die gleich nach meiner Antwort aufgesprungen und aus dem Raum verschwunden war, kam nun zurück und drückte mir einen Laib Brot in die Hand. »Hier, bitte«, sagte sie leicht amüsiert.
»Danke!« Ich konnte mein Glück kaum fassen. Einen kompletten Brotlaib hielt ich in meinen Händen - ein Brot, nur für mich allein. Wie ein kleines Kind freute ich mich - und das Kamerateam des WDR hatte große Freude, meine begeisterten Gebärden mit der Kamera festzuhalten.
Kaum im Camp angekommen, trommelte ich die Kameradinnen aus meinem Zelt zusammen, zerteilte das Brot, gab jeder von ihnen ein Stück ab - ich hätte schwören können, dass der Himmel in diesem Augenblick ein klein wenig blauer wurde.
Als ich aber hinaufblickte, um das Himmelsblau zu genießen, spannte sich just in dem Moment ein Regenbogen über unseren Köpfen. Ich schoss ein Foto, das wirklich toll geworden ist. Es steht heute auf meinem Schreibtisch und mahnt mich, in jeder noch so schlimmen Situation nach einem Regenbogen Ausschau zu halten.
In jenem Moment im Camp, als wir so heiter und endlich mal wieder satt zusammensaßen, gelang es mir für einen Augenblick, all das Leid, das ich gesehen hatte, zu vergessen. Oft genug fehlten mir die Worte, um auszudrücken, wie ich mich fühlte. Doch es gibt einen unsagbar guten Text des Rappers Moses Pelham, dessen Lieder ich immer und immer wieder im Einsatz gehört habe, weil sie meine Situation sogut widerspiegelten. Der Text aus dem Song »Geteiltes Leid«, und lautet folgendermaßen:
Kennst du Leiden, kannst du leiden.
Leiden kann jeder, aber sich im Leid suhlen, das Leid annehmen, darüber hinwegkommen und den kurzfristigen Triumph über das Leid, der nur darin besteht, es aufrecht ertragen zu haben, als Glück zu sehen, nur um sich bald neuen Leiden hinzu-, nicht aber zu ergeben, das will gelernt sein.
Was Leiden angeht, glaube ich, kann ich ein Lied singen, oder zehn oder zwanzig, aber ich stehe noch.
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