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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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diesem Morgen war auf den einzelnen Etagen viel los, überall liefen Menschen durch die Gänge, begegneten mir sowohl amerikanische als auch russische sowie deutsche Soldaten.
    Ein Kamerad führte mich in eines der Büros der Abteilung G2, wo man mir mitteilte, dass ich am Nachmittag in Orahovac an der Aushebung eines Massengrabes teilzunehmen hatte. Ich versuchte ruhig und gelassen zu bleiben. Zwar hätte ich den Auftrag am liebsten abgelehnt, aber dass dies nicht möglich war, daran bestand kein Zweifel. Hier waren »höhere Mächte« im Spiel. Aus dieser Situation hätte mich nicht mal mein Kompaniechef herausholen können …
    Als wir in Orahovac ankamen, wollte ich meinen Augen nicht trauen: Vor mir stand ein ganzer Zug deutscher Polizisten des Bundeskriminalamtes, auch BKA genannt. Die verschwitzten, mit Erde und Staub bedeckten Männer waren damit beschäftigt, in der prallen Sonne ein Massengrab auszuheben, in dem sich dermaßen viele Tote befanden, dass ich sie unmöglich zählen konnte.
    Jede einzelne Leiche wurde sorgsam freigelegt, in einen Sack gepackt, nummeriert und fotografiert. Zwar kannte ich den Geruch von Tod, hatte während meiner bisherigen Einsatzzeit im Kosovo viele Leichen gesehen, doch derart alle Sinne raubend hatte sich mir der Tod noch nie präsentiert.

    Da ich allein unter Fremden war, hatte ich keine Möglichkeit, mich mit jemandem über das Gesehene offen auszutauschen. Meine Kameraden aus dem Feldlazarett waren alle im Camp, und die Männer, die mit mir hergefahren waren, hatten mich bei dem diensthabenden Offizier abgesetzt und waren danach wieder verschwunden. Meine Stelle auf der Intensivstation hatte jemand anders eingenommen. Ab sofort hatte ich mit dem mir unbekannten Offizier und den deutschen Polizisten auszukommen - mit lauter Leuten, die mich gar nicht beachteten.
    Ich dachte, dass es schlimmer nicht mehr kommen könne.
    Und hatte Unrecht.
    Die Ereignisse des nächsten Tages ließen Orahovac wie einen Kindergeburtstag erscheinen.
    Die Beamten vor Ort hatten eine ehemalige Autowerkstatt zur Obduktionshalle umfunktioniert. Als ich dort am folgenden Morgen meinen Dienst begann, roch ich schon beim Betreten des Grundstücks mein Unglück. Als ich dann in der riesigen Halle stand, in der über zwanzig Leichen ungekühlt, bei über vierzig Grad im Schatten, vor sich hin moderten, verschlug es mir vor Abscheu die Sprache. Ich versuchte mich mit aller Gewalt zu beherrschen, um nicht den Verstand zu verlieren, während mich ein freundlicher blonder Kollege vom BKA, der einen breiten rheinischen Dialekt sprach, in den richtigen Umgang mit Massengrabopfern einwies.
    Ich lernte, dass ich niemals eine Leiche aufschneiden durfte, denn die Toten könnten tödlich sein. Hätte man nämlich einen Körper, der entsprechend »gesichert« war, unachtsam geöffnet, ohne ihn vorher mit einem Minendetektor abzuscannen, wäre einem der Leichnam unter Umständen mit einem Riesenknall um die Ohren geflogen.
    »Ist das denn schon mal vorgekommen?«, fragte ich den Kollegen entsetzt.

    Angesichts dieser offenbar naiven Frage sah er mich fast schon mitleidig an, bevor er sagte: »Die Obduktionen haben sich deswegen manchmal verzögert. Doch machen Sie sich keine Sorgen. Wenn wir gewissenhaft arbeiten, kann nichts passieren.«
    Gleich darauf erzählte er mir ausführlich davon, wie einige seiner Kollegen bei einer Obduktion von einer solchen Sprengfalle überrascht worden waren. »Ehe du dich versiehst, hast ganze Scheiße im Gesicht«, polterte er los - und brach in schallendes Gelächter aus.
    Ich war entsetzt über sein pietätloses Gerede. Was für ein grobschlächtiger Kerl, dachte ich empört.
    Dass sein »Humor« ein hilfloses Konstrukt war, um mit der ebenso grausamen wie surrealen Situation klarzukommen, begriff ich erst später, als ich zurück in Deutschland war und meine Traumata aus dem Kosovo aufarbeitete.
    Nachdem meine Einweisung beendet war, konnte ich mit der Arbeit beginnen. Die Grausamkeiten, denen ich in der Zeit beim MAD begegnete, stellten alles, was ich zuvor gesehen hatte, in den Schatten. Ich sah gepfählte Menschen. Ich sah Frauen und Männer, die mit unaussprechlichen Gegenständen gefoltert geworden waren. Ich sah Menschen, denen Rasierklingen unter den Fingernägeln steckten. Ich sah eine Frau, die in einem Dorfbrunnen ertränkt wurde, indem man eine lebendige Kuh auf sie geworfen hatte. Ich sah geköpfte Menschen. Menschen, bei denen meinen BKA-Kollegen und mir schwer

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