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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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zuzuordnen fiel, welcher Kopf zu welchem Körper gehörte. Ich sah Kinder, deren tote Augen noch dermaßen entsetzt schauten, dass man sich leicht ausmalen konnte, was sie zuletzt gesehen hatten.
    Als ich am Ende meines ersten Tages in der Obduktionshalle wieder ins Camp zurückfuhr, kämpfte ich die ganze Fahrt über mit Übelkeitsattacken.
    In unserem Zehnmannzelt wartete Johanna auf mich, die mit
mir zum Essen gehen wollte - doch ans Essen konnte ich nicht mal denken. Und zu erzählen hatte ich auch nichts. Ich konnte die Grausamkeiten, deren Zeugin ich wurde, nicht in Worte fassen. Inzwischen rief ich auch so gut wie gar nicht mehr zu Hause an, weil ich keine Ahnung hatte, was ich meinen Lieben am Telefon berichten sollte.
    Innerhalb kürzester Zeit verlor ich neun Kilo. Jemals wieder Fleisch zu essen, war mir unvorstellbar. Bald sprachen mich meine Kameraden gar nicht mehr an, wenn ich vom Dienst in die Halle zurückkehrte. Sie ließen mich in Ruhe, und ich - ich legte mich nach einer kurzen Dusche auf mein Feldbett und starrte die Decke an.
    An den Abenden im Versorgungszelt nahm ich schon seit längerem nicht mehr teil. Ein »Katastrophengesicht« soll ich damals zur Schau getragen haben, berichtete man mir später. Psychologische Betreuung gab es im Camp nicht, dabei wäre das eine immens wichtige Einrichtung gewesen.
    Kaum war der Einsatz in Orahovac beendet, wartete auch schon das nächste vom MAD offerierte Abenteuer auf mich: Leichenfunde.
    Diesmal führte mich mein Auftrag zu einer großen Wiese etwa fünfzig Kilometer vom Camp entfernt.
    Einer meiner Vorgesetzten ging mit mir ein paar Schritte über die Wiese und sagte dann: »So, Engelchen, jetzt geht’s an eingemachte Männerarbeit.«
    »Wieso?«, fragte ich, denn ich wusste nicht, worauf er hinauswollte.
    »Halt mal die Nase in den Wind und versuch die Leiche zu finden«, sagte er darauf nur. »Ein Tipp noch. Dort, wo Leichen sind, stehen die Disteln besonders gut im Saft.« Dabei drückte er mir einen Spaten in die Hand, wünschte mir allen Ernstes viel Spaß und verschwand eiligen Schrittes.

    Einmal mehr verfluchte ich meine Kroatischkenntnisse, denn ohne sie wäre ich nie vom MAD rekrutiert worden - und damit wären mir Einsätze wie dieser erspart geblieben.
    Aber nun half alles Jammern nichts. Also versuchte ich mich zu orientieren, lief hierhin und dorthin.
    Plötzlich nahm ich einen bestialischen Gestank wahr.
    Tatsächlich.
    Da lag etwas im Gras.
    Keine zehn Meter von mir entfernt.
    Die Leiche eines albanischen Soldaten, die wohl schon länger auf der Wiese lag. Die Hitze und allerlei Getier hatten sie inzwischen zersetzt. Ich konnte den Soldaten nur deshalb als Menschen erkennen, weil es eine Uniform gab.
    Dieser Leichenfundort, so erfuhr ich später, war im Camp allgemein bekannt. Viele Soldaten fuhren hin, um ein paar Leichenfotos für zu Hause zu klicken. Wie geradezu pervers manche Menschen mit dem Thema Tod umgehen, sollte ich noch öfter erfahren - viel öfter, als mir lieb war.

    Es war gut eine Woche später, früher Nachmittag, als mich mein Spieß zu einer Einheit im Hinterland beorderte. Ich fragte schon lange nicht mehr danach, wer mich und meine Dienste wo und warum brauchte. Aufgrund der vielen Einsätze verstand ich mich als die Sprachmittler-Prostituierte, die fröhlich von Kompanie zu Kompanie gereicht wurde.
    Also stieg ich auch diesmal in den bereitstehenden Wagen und überließ es dem Kameraden hinterm Steuer, mich ans Ziel zu bringen. Bekannt war mir einzig, dass wir vor Ort den Dorfältesten nach seiner Verbindung zur UÇK befragen sollten.
    Die Strecke war mal wieder wie aus einem üblen Bilderbuch:
Serpentinen, trockener, die Kehle füllender Staub und dazu die unbarmherzige, alles niederbrennende Sonne. Antriebslos hockte ich im Fond des schaukelnden Wagens, dessen Motor aufheulte, sobald wir ein besonders steiles Teilstück des Weges bezwingen mussten.
    Die Gegend wurde zunehmend einsam. Wir befanden uns bereits im Bergland, als mir klarwurde, dass mein Trupp ein bestimmtes Bergdorf anvisierte, das malerisch und ruhig vor uns lag. Letztlich war das Dorf nicht viel mehr als eine Anhäufung von kleinen, halb verfallenen Häusern, zusammengehalten von ein paar Steinen und viel gutem Willen.
    Die Sonne brannte erbarmungslos auf die Dächer und Wege des Dorfes, doch kam sie gegen die panische Hitze, die sich gleich in meinem Körper ausbreiten sollte, nicht an.
    Noch bevor wir den Ortskern erreichten, begegneten uns

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