Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
Vom Netzwerk:
passiert! Rein gar nichts!«
    Ich wartete umsonst - und das ganze zwei Wochen lang, denn so lange zogen sich unsere Befragungen hin.
    Es war zermürbend.
    Ein Schrecken ohne Ende.
    Es war die Hölle, anhören zu müssen, was Erwachsene Kindern antun können, wundervollen, durchweg liebenswerten kleinen Jungen und Mädchen. Vor diesen Kindern nicht in Tränen auszubrechen, erforderte eine schier übermenschliche Willenskraft.
    Ich kann mir Emotionen nicht erlauben. Nicht jetzt. Das prägte ich mir ununterbrochen ein, wenn mich die Schilderungen der Kinder zu übermannen drohten. Immerhin bot ich ihnen die Möglichkeit, für die an ihnen verübten Grausamkeiten Vergeltung zu fordern. Allerdings nicht nach dem Prinzip »Auge um Auge, Zahn um Zahn«. Dafür waren wir zu zivilisiert.
    Leider!

    Nachdem sich die Anschuldigungen also bestätigt hatten, fuhren wir täglich in das Dorf. Jedes Mal kamen neue, immer perversere Einzelheiten ans Tageslicht. Allmählich fühlte ich mich wie ein Fass, das langsam, aber sicher überzulaufen drohte.
    Das Alter der Kinder lag zwischen sechs und fünfzehn Jahren. Da die meisten von ihnen elternlos waren, wohnten sie - falls sie Glück hatten und geduldet wurden - bei ihren Verwandten, oder sie waren völlig auf sich allein gestellt und lebten auf den Dorfstraßen. Das Einzige, was diese Jungen und Mädchen besaßen, waren jede Menge Leid und Kameraden, die sie ohne Worte verstanden, denn sie alle peinigten ja die gleichen Bilder.
    Mir waren diese Kinder nicht fremd. Erst als ich wieder in Deutschland war, wurde mir bewusst, dass auch mich das Schicksal mit meinen traumatisierten Kameraden zusammengeschweißt hatte.
    Ein Kind wuchs mir während dieser zwei Wochen im Dorf ganz besonders ans Herz.
    Ivica war ein schmächtiger Junge von etwa sieben Jahren - dunkle Locken, pechschwarze Augen. Der kleine Kerl war von ein und demselben Mann unzählige Male missbraucht worden. Daher lag es nahe, eine Gegenüberstellung zu initiieren, bei der Ivica seinen Peiniger identifizieren sollte. Damit wäre die NATO in der Lage, den Täter vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag anzuklagen.
    Nur: Wie sollte ich Ivica meinen Vorschlag unterbreiten?
    Ich nahm ihn mit in den Schuppen, kniete mich vor ihn hin und fasste seine kleinen Hände. »Mein Süßer«, begann ich und lächelte ihn an, »mein Chef hat gefragt, ob du uns zeigen könntest, wer dir all die schlimmen Dinge angetan hat.«
    Die Augen des Jungen weiteten sich vor Schreck. Mit ungeahnter Kraft entzog er mir seine Hände. Und schüttelte heftig den Kopf.

    Ich versuchte ihm die vertrackte Lage zu erklären: »Nur wenn du das tust, können wir den Mann festnehmen und ins Gefängnis stecken.«
    Ivica wehrte sich aus Leibeskräften gegen meinen Vorschlag. Einem gesunden Impuls folgend, sträubte sich alles in ihm, uns den Mann zu zeigen - schließlich wusste der Junge, zu welcher Brutalität derjenige fähig war.
    »Nein, das kann ich nicht!«, stieß Ivica zitternd hervor und schüttelte erneut den Kopf. »Wenn ich das mache, ist er sicher böse mit mir. Und er tut mir auch schon weh, wenn er nicht böse mit mir ist.«
    Traurig sah mich Ivica an und wirkte auf einmal noch kleiner, als er ohnehin schon war.
    Er rang mit seiner Angst. Mir zerriss es fast das Herz.
    Doch ich war felsenfest davon überzeugt, dass eine Gegenüberstellung das Beste für ihn sei, und ließ deshalb nicht locker. »Liebling, wir alle sind bei dir. Ich werde nicht einen Zentimeter von deiner Seite weichen. Dir kann nichts passieren, das verspreche ich dir.«
    Eine Dreiviertelstunde redete ich mit Engelszungen auf Ivica ein. Versprach ihm, mit meiner Pistole auf ihn aufzupassen. Versprach ihm, allzeit bei ihm zu sein. Versprach ihm, sein Leben mit meinem Leben zu schützen.
    Schließlich gab er nach und reichte mir die rechte Hand. Während er mir mutig in die Augen schaute, zog er mich aus dem Schuppen.
    »Komm mit«, forderte er mich auf.
    Ich ergriff seine kleine, schweißnasse Hand und hielt sie ganz fest.
    Die Sonne brannte, ich musste die Augen zusammenkneifen - das grelle Licht blendete mich schmerzhaft.
    Wir gingen zum Dorfplatz, wo die Militärpolizei in der Zwischenzeit
den beschuldigten Mann zusammen mit vier weiteren, unschuldigen Männern aufgestellt hatte. Hier unter freien Himmel und unter den Blicken der neugierigen Dorfbewohner sollte nun die Gegenüberstellung erfolgen.
    Ich war mir keiner Gefahr bewusst, hatte den Männern von der Militärpolizei

Weitere Kostenlose Bücher