Mit der Hoelle haette ich leben koennen
noch:
»Das dachte ich mir schon. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht wirklich mit dir gerechnet.«
Ich hätte heulen können. Kleinlaut sagte ich: »Entschuldige bitte, es geht mir echt beschissen. Mein Kopf bringt mich um.«
»Ja, klar.«
»Holen wir nach, okay?«
»Sicher. Mach’s gut.«
Irgendwann wollte sich niemand mehr mit mir treffen. Dabei sagte ich nicht leichtfertig ab. Es verletzte und demütigte mich jedes Mal, wenn ich es tun musste. Selbst die Einschulung meines geliebten Neffen verpasste ich, weil ich im Schmerztaumel gestürzt war und mit einer Platzwunde am Kopf bewusstlos in meiner Wohnung lag.
Sogar langjährige Freundschaften wie die zwischen meiner Freundin Sonja und mir wurden auf eine harte Probe gestellt. Manchmal aber kam Hilfe.
Als ich mich wieder mal mit Sonja in einer Kneipe traf und sie mich fragte, ob ich denn einen Plan für meine Zukunft hätte, brach es aus mir hervor: »Ich hätte nur zu gerne einen, aber das ist völlig aussichtslos. Weißt du, wie in über fünfundneunzig Prozent der Fälle die Antwort auf die Frage lautet, welche beruflichen Chancen man mit PTBS hat? Gar keine.«
Sonja überlegte laut für mich: »Schwierig. Als Bürokauffrau, das geht nicht mehr. Und als Rettungssanitäter kannst du auch nicht arbeiten.«
»Nein, auf keinen Fall. Tod und Unglück habe ich echt genug gesehen. Diese Dinge sollen in meinem Leben keinen Platz mehr haben.«
Sonja nickte, zeigte Verständnis: »Wie wäre es mit einem Ehrenamt? Dann hast du eine Aufgabe. Du bist flexibel, kannst immer dann arbeiten, wenn es dir gerade gutgeht. Und eine gute Tat wäre es außerdem.« Sonja grinste, als sie sagte: »Ich kenn dich doch, das würde gut zu dir passen.«
»Keine schlechte Idee«, antwortete ich. »Ein paarmal habe ich ja auch schon ehrenamtlich gearbeitet. Aber immer nur für kleine Projekte.«
Sonja legte mir eine Hand auf den Arm. »Weißt du was, ich hör mich mal für dich um. Da wird sich was finden lassen.«
Danach redeten wir noch über dies und das. Es wurde ein lustiger, entspannter Nachmittag, und ich ging zufrieden und gut gelaunt nach Hause.
Ermutigt durch das Gespräch mit Sonja, nahm ich wenige Tage später Kontakt mit einer Lehrrettungsassistentin auf, die an Osnabrücker Schulen und Kindergärten Erste-Hilfe-Kurse anbot. Wir unterhielten uns lange und vor allem sehr ehrlich am Telefon. Aus meiner Erkrankung machte ich keinen Hehl, und ich merkte, dass die Frau am anderen Ende der Leitung meine Offenheit honorierte. Spontan beschloss sie, mich als Ausbilderin in ihr Team aufzunehmen, ich sollte schon bald anfangen. Bereits bei der Bundeswehr hatte ich gemerkt, dass es mir nicht schwerfiel zu unterrichten, dass ich in diesem Bereich sogar über ein gewisses Talent verfügte. Die Vergütung für mich bestand - neben einer Fahrtpauschale - in ein wenig Selbstachtung, die ich durch diese Tätigkeit zurückzugewinnen hoffte.
Schon nach meinen ersten Einsätzen zeigte sich, dass ich gerade Kindern den Stoff gut beizubringen vermochte und obendrein noch viel Spaß mit ihnen hatte. Besonders lieb waren mir die
Kindergartenkurse, in denen ich Drei- bis Sechsjährigen beibrachte, einen Notruf abzusetzen: Kleine Kinderköpfe mit großen Hörern am kleinen Ohr - ein Bild, bei dem ich dahinschmolz.
Ich übernahm die Rolle der Leitstelle, nahm also den Notruf an und fragte: »Wo bist du denn?«
Die Antwort der Kinder kam wahrheitsgemäß: »Im Kindergarten.«
Die Kleinen waren allesamt mit Feuereifer dabei. Wann immer ich einen Kindergarten verließ, folgte mir eine ganze Schar zum Auto, um mir zum Abschied enthusiastisch nachzuwinken.
Die Kurse dauerten selten länger als ein oder zwei Stunden, aber für mich bedeutete das Höchstleistung. Dennoch unterrichtete ich so oft es nur ging. Gebraucht zu werden tat mir gut - denn, ja, es zeigte mir: Ich war zu etwas imstande. Als ich einmal mit der Lehrrettungsassistentin telefonierte, um meine nächsten Dienste zu koordinieren, kamen wir überraschenderweise auf meinen Einsatz im Kosovo zu sprechen.
Ich erzählte ausgiebig von meinen Erlebnissen.
Sie fragte: »Wie können Sie nach allem, was Sie erlebt und überlebt haben, überhaupt noch einen Lebenswillen haben?«
Diese Frage hatte ich schon oft gehört, und jedes Mal musste ich an Ludger denken, der den Freitod gewählt hatte.
»Das ist leicht erklärt«, erwiderte ich. »Wenn ich irgendwann aufgeben würde, hätten die Tage im Kosovo endgültig gesiegt. Das aber
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