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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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sehe ich nicht ein.«
    Ich erzählte ihr von einem Offizier, einem meiner Vorgesetzten, der mal zu mir gesagt hatte: »Wenn ich erlebt hätte, was Sie durchgemacht haben, hätte ich mich längst erschossen.«
    »Harter Tobak.«
    »Allerdings«, sagte ich. »Aber ich bin eine Kämpfernatur. Mich kriegt das Leben nicht klein, das habe ich mir geschworen. Ich werde mein Dasein nicht als Verliererin beenden.«

    Nachdem wir aufgelegt hatten, musste ich an die süßen kleinen Kinder denken, die ich unterrichtete. Was würde aus ihnen wohl eines Tages werden? Wie privilegiert sie aufwachsen, dachte ich, ganz anders als die armen Jungen und Mädchen, die ich im Kosovo gesehen habe - verwaist, verwahrlost und geschunden, hungrig und ohne jede Chance auf eine lebenswerte Zukunft.
    Ein Gedanke ergab den nächsten, eine Erinnerung folgte der anderen.
    Und schon begleitete ich zusammen mit einem unserer Kraftfahrer einen Konvoi zur Müllhalde. Ich hatte darum gebeten, diesen Job übernehmen zu dürfen - einfach deswegen, weil ich nicht glauben konnte, was meine Kameraden sich im Lager über die Müllhalde erzählten.
    Als wir das abgelegene, nicht eingezäunte Gelände außerhalb von Prizren erreichten, stürzten viele kleine und einige größere Kinder auf uns zu und umringten unseren Wagen. Der Müll, den wir geladen hatten, bestand hauptsächlich aus Küchen- und OP-Abfällen. Neben Essensresten luden wir also auch Körperteile, blutige OP-Tücher, Mullbinden, Tupfer, gebrauchtes Verbandsmaterial dort ab.
    Die Kinder schubsten sich gegenseitig weg und traten und schlugen sich, um möglichst dicht an einen unserer Wagen zu gelangen.
    Während sich meine Kameraden daranmachten, den Müll abzuladen, ging ich auf die Kinder zu und versuchte beruhigend auf sie einzureden. Die verlotterten, dürren Gestalten sahen wild und zu allem entschlossen aus. In der Hoffnung auf Essensreste gierten sie nach dem Müll, aber wir kamen gar nicht an die hinteren Lkw-Türen, die es fürs Abladen zu öffnen galt.
    Je länger wir hilflos dastanden, desto mehr Kinder wurden es. Schließlich fingen sie an, uns anzufassen und zu betteln, wobei sie immer fordernder wurden.

    Mit einem Mal wurde die Lage gefährlich. Waren diese Kinder hier, weil sie Hunger hatten? Oder mussten wir mit einem Übergriff rechnen?
    »Wir müssen davon ausgehen, dass eines der Kinder den Auftrag hat, uns anzugreifen«, warnte der Fahrer eines der Lastwagen.
    »Du hast Recht«, sagte sein Beifahrer. »Das hier wird allmählich heikel.«
    »Aber das sind doch bloß Kinder«, meinte ein junger Kamerad, der noch nicht lange im Einsatz war.
    »Man darf sich nicht davon täuschen lassen«, erklärte ich ihm. »Wir haben schon häufiger Situationen erlebt, in denen uns Kinder angegriffen haben.«
    Dann trafen wir einen Entschluss, der mir heute noch das Herz bricht.
    Mit vorgehaltener Waffe hielt ich die Kinder auf Abstand, während meine Kameraden so schnell es ging den Müll abluden. Gern hätte ich die Augen zugemacht, um nicht in die entsetzten Kindergesichter blicken zu müssen. Ich tat es nicht. Ich wusste, was geschehen konnte - aus unmittelbarer Erfahrung.
    Als ich im Kosovo angekommen war, begrüßten uns viele der Kinder sehr herzlich. Sie freuten sich jedes Mal diebisch, wenn wir sie abklatschten, sobald sie »NATO, NATO!« riefen.
    Etwa vier Wochen später schlug aber die Stimmung in der Bevölkerung um. Die Menschen verhielten sich auf einmal abweisend uns deutschen Soldaten gegenüber. Waren sie zu Beginn noch froh über unsere Anwesenheit, schienen sie uns jetzt als Eindringlinge zu empfinden. Zum Teil verwechselten sie uns auch mit Einheiten anderer Länder, die ihren Auftrag im Kosovo eher grobschlächtig oder brutal verrichteten.
    Die Kinder waren zwar weiterhin darauf erpicht, uns abzuklatschen, jedoch versteckten jetzt nicht wenige von ihnen Rasierklingen
zwischen den Fingern und schnitten so manchem freundlichen Soldaten die Hand auf. So herrschte bald Misstrauen auf beiden Seiten, was unsere Begegnungen mit den Einheimischen nicht gerade erleichterte.
    Noch heute sehe ich in meinen Träumen die verständnislosen Gesichter der Kinder auf der Müllhalde, die nicht begreifen konnten, dass wir sie bedrohten.
    Als meine Kameraden mit dem Abladen fertig waren, schritt ich, die Kinder im Visier, rückwärts zum Laster und schwang mich auf den Beifahrersitz.
    Im Rückspiegel konnte ich beobachten, wie sich die Kinderhorde, einem Vorhang gleich, um die Müllsäcke

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