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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen
Autoren: Daniela Matijevic
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ich bin geschützt
vor den Blicken anderer.
     
    Nichts und niemand
kommt an mich heran.
Niemand
kann mich treffen
oder verletzen.
     
    Und niemand kann mir helfen.

Der Schatten
des bohrenden Schmerzes
liegt auf mir.
Unverrückbar.
Unbeeinflussbar.
Unliebbar.
    15.
    Jeder Mensch, der unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, kennt die für diese Krankheit typischen Start-ups zur Genüge. Es gibt zwischendurch Tage, da geht es einem gut, da meint man die Welt aus den Angeln heben zu können, da möchte man Bäume ausreißen, und auch wenn man sich dieses plötzlich aufgetauchte Hochgefühl nicht recht erklären kann, hofft man, dass nun der Punkt erreicht sei, an dem alles gut wird. Nur zu gern blendet man die Möglichkeit aus, dass der Schmerz und die Lethargie schneller zurückkehren könnten, als einem lieb ist. In solchen Momenten blüht man auf, sprüht nur so vor Energie, schmiedet tausend Pläne, hat Ideen, versucht sie umzusetzen - und scheitert.
    Meinen großen Traum, eines Tages ein Medizinstudium zu absolvieren, um danach als Anästhesistin zu arbeiten, hatte ich schon vor einiger Zeit abgehakt. Nichts zu machen. Niemals wäre ich imstande, eine Leiche zu sezieren.
    Ein Studium reizte mich dennoch. Die Anforderungen schienen mir leichter zu bewältigen als in einem festen Job, denn ich
könnte mir ja das Lernen frei einteilen. Natürlich gab es auch im Studium zahlreiche Pflichtseminare und feste Termine, aber ich war der Meinung, es trotz meiner PTBS schaffen zu können.
    Nach langen Überlegungen entschloss ich mich, Jura zu studieren. Psychologie oder Literaturwissenschaften hätten mich ebenfalls gereizt, doch am Ende schien mir Jura sinnvoller. Meine Mutter war ganz überrascht, als ich ihr von meinen Plänen erzählte.
    »Wie kommst du denn auf Jura? Das ist ja eine ganz neue Richtung«, sagte sie.
    Ihre Einwände schob ich beiseite - ich war felsenfest überzeugt, das Richtige zu tun, wollte alles unternehmen, um das Studium erfolgreich abzuschließen. Vor allem aber wollte ich mir beweisen, dass ich trotz Krankheit noch nicht kapituliert hatte. Jura erschien mir ähnlich pragmatisch wie die Medizin und würde mich sicherlich genauso reizen und fordern, redete ich mir ein.
    Wie viele Chancen zum Neuanfang hatte ich noch?
    Einst hatte ich eine Umschulung zur Logopädin beantragt, doch die wurde mir nicht bewilligt. »Für eine derart umfangreiche Ausbildung sind Sie viel zu geschwächt, Frau Matijević«, lautete der knappe Kommentar des zuständigen Sachbearbeiters beim Versorgungsamt.
    Sie glaubten nicht daran, dass es mir gelingen würde, in mein altes Leben zurückzukehren.
    Aber damit wollte ich mich partout nicht abfinden!

    Einerseits aus Trotz, andererseits, um es der Welt zu beweisen, begann ich das Studium der Rechtswissenschaften an der juristischen Fakultät zu Osnabrück.

    Ich tat es für mich selbst, um meine Ehre und meine Lebensqualität zu retten.
    Der erste Tag an der Uni war skurril. Mit knapp vierhundert anderen Studenten saß ich im Plenum und wartete auf den Beginn der Vorlesung zum Thema Öffentliches Recht. Ein Mann mittleren Alters mit grau melierten Schläfen, der einen teuer aussehenden dunkelblauen Anzug trug, betrat den Saal. Er blickte in die Runde und ging, eine dicke Zeitung unterm Arm, zum Pult.
    »Jeder von Ihnen, der ab heute nicht täglich die Frankfurter Allgemeine Zeitung liest, hat in meinem Seminar nichts verloren«, sagte er statt einer Begrüßung.
    Leises Raunen ging durch die Reihen, und ich fragte mich, was das eine mit dem anderen zu tun hatte.
    »Des Weiteren sollten Sie spätestens im zweiten Semester die Möglichkeit erwägen, einen Taxischein zu machen, sofern Sie den Noten nach nicht zum ersten Drittel gehören.«
    Wie auf Kommando sahen meine Sitznachbarin und ich uns an, verwundert über den arroganten Kerl, der von unserem Platz in einer der hinteren Reihen kaum größer wirkte als ein Schlumpf. Die Vorlesung, die nun folgte, war dröge. Doch der Stoff war überschaubar, und ich hatte mir ja fest vorgenommen, mich mit aller Kraft ins Studium zu stürzen. So war ich stets anwesend und schrieb eifrig mit.
    Der gewöhnungsbedürftige Gutachtenstil, den man zu Beginn des Jurastudiums erlernt, ging mir irgendwann in Fleisch und Blut über. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Welt in objektive und subjektive Tatbestände aufteilte. Dass der Tatbestand des Diebstahls nur dann erfüllt war, wenn die entwendete Sache fremd und
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