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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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treten.
    Es ist kein Film, von dem man sich nach Belieben distanzieren kann. Vielmehr durchlebe ich das Geschehen. Ich durchlebe es jedes Mal aufs Neue.
    Im Detail bedeutet das:
    Bei jedem Flashback sehe ich die beiden Mädchen vor, während und nach der Explosion.
    Ich rieche die Luft des Kosovo, die ich beim Verlassen unseres Fahrzeugs tief einsauge.
    Ich spüre die Sonne, die erbarmungslos meinen Helm aufheizt, meinen Kopf zu einem kochenden Topf werden lässt.
    Ich sehe die beiden Mädchen, wie sie kichernd auf uns zukommen.
    Ich höre mich selbst, wie ich die beiden bitte, uns zum Dorfältesten zu führen.
    Ich bin amüsiert über ihren Frohsinn und blicke den beiden hinterher, als sie über die Wiese laufen.
    Ich höre die unsagbar laute Explosion. Ein Geräusch, das meinen Gehörsinn komplett außer Gefecht setzt.
    Ich rieche die Folgen der Explosion.
    Ich spüre etwas Nasses im Gesicht, etwas Nasses auf den Armen.
    Ich schmecke Blut.
    Ich werde panisch.
    Ich bekomme Todesangst.
    Ich sehe an mir hinab, Blut bedeckt meinen ganzen Körper.
    Ich verabschiede mich von der Welt, weil ich denke, es sei mein Blut. Ich registriere allmählich, dass es nicht mein Blut ist.
    Ich stelle fest, dass mir gar nichts fehlt, ich unversehrt bin.

    Ich blicke genauer auf mich, um mich. Sehe die Körperteile der Mädchen. An mir, um mich. Ich erstarre.
    Die Flashbacks - das sind Sekundenbruchteile. Und doch erlebe ich die Situationen, vor denen mich graut, so intensiv wie beim ersten Mal.
    Bei jedem Menschen mit PTBS wird ein Flashback anders ausgelöst, oft kann man im Nachhinein gar nicht sagen, was diesmal der Auslöser war.
    Bei mir sind es hauptsächlich bestimmte Gerüche oder Bilder vom Kriegsgeschehen, die ich im Fernsehen sehe, grimmig dreinschauende Männer mit langen Bärten oder aber Kinder.
    Mit am schlimmsten ist für mich der Geruch von Essig und Leder, denn seit dem Kosovo-Einsatz ist er untrennbar mit Leichengeruch verbunden: In der zur Obduktionshalle umfunktionierten Autowerkstatt in Orahovac hatte ich den Fehler gemacht, sowohl meine Fliegerstiefel als auch meine Uhr, die ein Lederarmband hatte, nicht auszuziehen. Schon nach einem Tag hatte sich der Leichengeruch dermaßen in das Leder eingefressen, dass ich Schuhe und Uhr nicht mehr verwenden konnte.
    Obwohl ich Handschuhe trug, bekam ich den Leichengeruch nicht von den Händen. Möglicherweise spielten meine Sinne mir einen Streich, aber der Verwesungsgeruch haftete an meinen Fingern und raubte mir nach und nach den Verstand. Selbst dass meine Kameraden aus der Gerichtsmedizin und ich uns die Hände mit Essig abrieben, half nichts. Doch seither lässt mich schon der bloße Gedanke an Essig würgen.
    Der Verwesungsgeruch hat sich mir dermaßen eingebrannt, dass ich selbst ein totes Eichhörnchen auf zehn Meter Entfernung
ausmachen könnte. Ich wage zu behaupten, nicht mal Spürhunde könnten bei einer Leichensuche schneller anschlagen als ich.
    Genauso ist es mit Schweiß. Schweiß bedeutet Angst - Todesangst. Und die konnte ich bei den Patienten, die im Sterben lagen, oft genug riechen.
    Eine andere Art von Bedrohung sind für mich bärtige Männer. Nach mehreren unschönen Begegnungen, bei denen mir der Hass männlicher Einheimischer vehement entgegenschlug, sind Männer mit Bärten für mich gleichbedeutend mit Gefahr, Unberechenbarkeit, Herablassung.
    Leider löst auch der Anblick von Kindern schlimmste Angstzustände aus. Ich habe zu viele von ihnen sterben sehen. Dass ein kleines Mädchen, das mir in der Fußgängerzone begegnet, nicht unbedingt auf eine Mine treten und vor meinen Augen explodieren wird, leuchtet mir zwar ein. Und dennoch schleicht mir diese Angst wie ein verabscheuungswürdiger Stalker ständig hinterher.
    Rohes Fleisch anzufassen, um es zu braten, bereitet mir körperliche wie seelische Qualen. Den Anblick eines nicht ganz durchgegarten Steaks kann ich nicht ertragen. Zu sehr erinnert mich blutiges Fleisch an das verweste, von Maden durchsetzte Menschenfleisch.
    Wann immer ich Besteck auf dem Tisch liegen sehe, muss ich an das Obduktionsbesteck in Orahovac denken, das fein säuberlich aufgereiht bereitlag.
    Zwar habe ich viel über die Möglichkeiten gelesen, Flashbacks zu therapieren, doch keine Lektüre konnte mir helfen.
    Meine Hoffnung, die Flashbacks würden im Laufe der Jahre abnehmen oder ich könnte sie besser ertragen, hat sich nicht erfüllt. Nichts, gar nichts ist besser, anders oder erträglicher geworden.

    Nur eines hat

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