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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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beweglich war. Dass bei Mord immer eines der sieben Mordmerkmale erfüllt sein und man den Tatbestand des Vorhabens prüfen musste, wenn der eine Zechkumpan dem anderen
eine Flasche über den Schädel zog, löste irgendwann keine Fragen mehr bei mir aus, sondern erschien glasklar und plausibel.
    Trotz aller Begeisterung und meiner hohen Motivation, die Schmerzen ließen mich nicht los. Zwar studierte ich inzwischen seit etwa zwei Monaten und war mehr oder weniger in der Lage, regelmäßig zu den Vorlesungen zu erscheinen. Was ich im Seminar nicht mitbekam, versuchte ich mir selbst beizubringen, so dass ich ganz gut mithalten konnte.
    Doch dann kam der Schmerz wieder. Vehement und nachhaltig. Ich hatte enorme Schwierigkeiten, mich in den Seminaren oder Vorlesungen zu konzentrieren. Anfangs fiel es mir nur schwer, dem Gesagten zu folgen, zumal wenn der Professor seinen Monolog mit monotoner Stimme vortrug. Irgendwann jedoch war der Punkt erreicht, dass ich mich überhaupt nicht mehr konzentrieren geschweige denn mitschreiben konnte.
    Mehr als einmal holten mich mitten im Plenum die Erinnerungen ein. Wenn ich urplötzlich und wie aus dem Nichts stoßweise zu atmen anfing, wenn ich nicht mehr sprechen konnte oder unansprechbar vor mich hin starrte, waren die Studenten um mich herum hoffnungslos überfordert.
    Mit der Zeit wandte ich mehr Kraft und schauspielerisches Talent auf, um die anderen Studenten von mir abzulenken, als ich Energie ins Studium steckte.
    Im November 2003 saß ich in einem Seminar über Zivilrecht. Es herrschte Anwesenheitspflicht, und ich hatte mich hingeschleppt, obwohl ich mich nicht gut fühlte. In der Nacht zuvor hatte ich kein Auge zugetan, hatte noch immer die Fernsehbilder vom Vorabend vor Augen, die deutsche Soldaten bei einer Patrouille in Afghanistan zeigten.
    Ich saß also im Seminar und versuchte den Worten der Seminarleiterin zu folgen, als mich ohne Vorwarnung ein Flashback heimsuchte.

    Ich stand mit meinem Vorgesetzten in der Nähe unseres Camps.
    Auf einer großen Wiese.
    Ich sollte nach Leichen suchen.
    »Halt mal die Nase in den Wind und versuch die Leiche zu finden«, sagte er. »Ein Tipp noch: Dort, wo Leichen liegen, stehen die Disteln besonders gut im Saft.«
    Mein Vorgesetzter wollte mich für den Verwesungsgeruch »sensibilisieren«. Nur mithilfe meiner Nase sollte ich die Leiche aufspüren, die irgendwo ganz in meiner Nähe im hohen Gras verweste.
    Ich war also in der Osnabrücker Universität - und doch auch wieder nicht, denn an sich war ich mitten im Kosovo.
    Ich schnaufte wie eine antiquierte Dampflok, mein Puls raste, und in meinem Kopf ertönte ein Schrei: »Nein! Ich will nichts sehen!«
    Ich will nichts sehen?
    Langsam setzte ich einen Schritt vor den anderen und hielt die Nase in den Wind, versuchte zu erschnuppern, wo die Leiche lag.
    Inzwischen flossen mir Schweißbäche übers Gesicht, ich war unfähig mich zu regen, bis ich wie durch eine Wand die Stimme meiner Sitznachbarin hörte.
    »Dani, alles okay?«
    Ich war nicht in der Lage zu reagieren.
    Stattdessen roch ich etwas. Es war ein abscheulicher Geruch. Nein, es war ein Gestank.
    Und da lag er schon vor mir.
    Ein toter einheimischer Soldat. Vergessen und verwest.
    Die Stimme meiner Kommilitonin drang wieder durch: »Dani, was ist denn los?«
    Ich schüttelte die alptraumhafte Erinnerung ab, saß wieder im Seminar und sah, dass alle Augen auf mich gerichtet waren. Die
Grenze zwischen Flashback und Wirklichkeit verschwamm, und hastig sammelte ich meine Unterlagen ein, schob sie in die Tasche, sprang auf und verließ fluchtartig den Raum.
    Je mehr Vorlesungen ich nicht mitbekam, desto größer wurde der Druck, zur nächsten unbedingt erscheinen zu müssen. Und je größer der Druck wurde, desto sicherer kam der Schmerz.
    Es war ein Teufelskreis.
    Die Flashbacks erwischten mich nicht nur an der Universität, sondern überall und jederzeit. Oft war es mir nicht möglich, auch nur zwei Meter geradeaus zu gehen.
    Sobald klar war, dass ich schon wieder einen Tag an der Uni verpassen würde, griff der Selbsthass zu - ganz wie der Pawlowsche Hund.
    »Nicht mal das kannst du«, tönte es in mir. »Wozu bist du überhaupt noch gut?«
    Diese Lebensphase war beherrscht von einem alles dominierenden Gefühl: Schuld. Ich war mittlerweile perfekt darin, mich selbst fertigzumachen.

    Nach knapp zwei Jahren musste ich schweren Herzens einsehen, dass ich nicht weiterstudieren konnte. Die PTBS hatte mich zu sehr in ihren Klauen,

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