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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen
Autoren: Daniela Matijevic
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schloss.

    Im Kosovo hatte ich mich oft ohnmächtig gefühlt, zu Hause war ich es ebenfalls.
    Ich schleppte mich von Tag zu Tag, ohne mich oder meine Umgebung wahrzunehmen. Ich lebte, ohne am Leben teilzuhaben, ich war da und doch nicht anwesend. Ich kämpfte mit Behörden, mit meinem Alltag, mit mir und meinem Umfeld. Am meisten litt ich darunter, dass mir die Menschen, vor allem jene in den Ämtern, mit Unverständnis oder gleich respektlos begegneten.
    Wie wenig Respekt mir selbst ausgebildete Fachkräfte entgegenbrachten, erlebte ich zum wiederholten Mal im Sommer 2006. Weil ich beim Versorgungsamt beantragt hatte, den Grad meiner Behinderung von sechzig auf achtzig Prozent zu erhöhen, sollte ich eine vereidigte Psychiaterin aufsuchen. Zu dem Antrag hatte ich mich entschlossen, weil ich inzwischen kaum mehr in der Lage war, meinen Haushalt zu führen. Sollte der Antrag durchkommen, konnte ich auf zusätzliche Hilfe zählen.

    Schon als ich die Praxis der Psychiaterin betrat, war mir mulmig zumute. Wieder musste ich einem fremden Menschen meine Geschichte erzählen, wieder alles auspacken, wieder mich selbst mit meinem Unvermögen und all meinen Schwächen konfrontieren.
    Die Psychiaterin begrüßte mich knapp, reichte mir die Hand und bat mich ins Sprechzimmer.
    »Dann erzählen Sie mal«, sagte sie sogleich.
    Einfühlsam fand ich den Einstieg nicht gerade, und wohl fühlte ich mich in der sachlich eingerichteten Praxis auch nicht, aber es half ja nichts. Also schilderte ich der Psychiaterin meine Situation, berichtete von meinen Schmerzphasen, die inzwischen im besten Fall wenige Tage, im schlimmsten deutlich länger dauerten.
    »Wenn ich Pech habe, erwischt es mich ganze sechs Wochen am Stück«, erzählte ich ihr. »Ich kann dann nicht mehr am Leben teilnehmen, weil der Schmerz alles beherrscht.«
    Sie musterte mich lange, bevor sie fragte: »Können Sie nachts schlafen?«
    »Meistens nicht«, antwortete ich. »Wenn überhaupt, dann tagsüber ein paar Stunden lang. Kaputt bin ich dennoch.«
    Ich erzählte weiter.
    »Ich bin nicht in der Lage, mein Leben zu planen. Egal was ich mir vornehme, fast immer macht mir der Schmerz einen Strich durch die Rechnung.«
    Die nächste knappe Frage seitens der Psychiaterin: »Arbeiten Sie?«
    Wie bitte?
    Ich dachte erst, ich hätte mich verhört. Hatte ich ihr nicht gerade ausführlich erklärt, dass ich kaum alltagstauglich war?
    »Nein«, sagte ich nur.
    Eine Stunde lang befragte mich die Psychiaterin, die vor Hochmut geradezu troff. Dann erhob sie sich plötzlich.

    »Danke, das war’s. Vom Gericht erfahren Sie dann, wie ich Ihre Lage beurteile.«
    Verwirrt und unzufrieden zugleich verließ ich die Praxis. So hatte ich mir ein Gespräch nicht vorgestellt.
    Wochen später erhielt ich vom Gericht eine Nachricht. Mein Antrag auf Erhöhung des Schwerbehindertengrades wurde abgelehnt. Als Begründung hatte die Psychiaterin unter anderem angegeben, ich sähe für einen depressiven Menschen viel zu gepflegt aus.
    Sprachlos stand ich vor meinem Briefkasten und konnte nicht glauben, was ich da las. Dass ich nicht »depressiv« war, sondern an einer Posttraumatischen Belastungsstörung litt, schien der Fachfrau nicht aufgefallen zu sein. Obendrein hatte das Gericht meine Klage abgewiesen, weil ich geduscht und ordentlich angezogen zu einem wichtigen Gespräch erschienen war.
    Respekt.

Dort wo Wut, Rache und Stolz aufeinandertreffen,
behält Aggression immer die Oberhand.
Und hinterlässt nichts als Zerstörung.
    17.
    Ein Flashback schleicht sich an wie ein Niesen. Ähnelt aber bald einem Niesen nicht mehr.
    In meinem Kopf fängt es zu wimmeln an, in etwa wie in einem Bienenstock.
    Der Boden unter mir wird auf einmal weich, weich wie Watte - ich versinke beinahe darin.
    Alles um mich herum verliert Konturen.
    Ich bekomme einen Tunnelblick.
    Je mehr ich versuche, diesem unerträglichen Zustand zu entrinnen, desto mehr verstärkt er sich, desto mehr hat er mich in seiner Gewalt.
    Ohne Vorwarnung fällt ein Vorhang.
    Es ist, als würde ich in einem alten, nach Verwesung stinkenden Filmtheater sitzen, dessen einziger Besucher ich bin. Es gibt Getränke aus Blut und Popcorn aus Leichenteilen. Die Platzanweiser tragen dunkle Fräcke. Sie verfolgen jede meiner Bewegungen.

    Kurz darauf fängt der Film an.
    Einer der bis heute in meinen Alpträumen am häufigsten aufgeführten Filme führt mir die Szene mit den beiden Mädchen vor Augen, die unmittelbar vor mir auf eine Mine
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