Mit der Hoelle haette ich leben koennen
sich im Laufe der Zeit geändert: meine Einstellung zu diesen Erinnerungsblitzen. Inzwischen habe ich akzeptiert, dass sie zu meinem Leben gehören. Zwar sind sie jedes Mal wieder grausam und lähmend, doch zu wissen, dass ich die Überfälle aus der Vergangenheit sicher auch dieses Mal überleben werde, lässt mich mittlerweile relativ routiniert damit umgehen.
Natürlich ist selbst eine gewisse Routine nicht wirklich tröstlich - aber ich kann diesen Fakt ja nicht ändern. Hilft es etwa einem Diabetiker, der Zeit nachzutrauern, in der er auf einen Schlag eine ganze Tafel Schokolade essen konnte? Bringt einem Querschnittsgelähmten die Frage, was geschehen wäre, wenn …, etwa die Kontrolle über seine Beine zurück?
Ein schönes Zitat aus Brokeback Mountain , einem meiner Lieblingsfilme, bringt die Sache auf den Punkt: »Wenn wir etwas nicht ändern können, dann müssen wir damit leben.«
Mit meinen Flashbacks habe ich mich arrangiert, doch das heißt noch lange nicht, dass sie für mich vorhersehbarer geworden wären. Sie kommen und gehen, wann sie wollen.
Im Laufe der Jahre sind mir viele ehemalige Kameraden begegnet, die ebenfalls unter Flashbacks leiden, auch wenn man keinen Fall mit einem anderen vergleichen kann. Die einzige Gemeinsamkeit, die es offenbar gibt, ist das Gefühl, plötzlich aus seinem Körper gerissen zu werden. Man steht wie angewurzelt da, kann sich nicht bewegen, richtet den Blick in eine rätselhafte Ferne. Nach ein paar Augenblicken, oft auch erst nach endlos langen Minuten, bewegt man sich wieder, beginnt man wieder zu atmen.
Einige Menschen weinen danach, andere bekommen einen Adrenalinschub oder werden aggressiv. Mich lähmt ein Flashback, hält mich gefangen. Gegen Ende eines solchen Blitzes sehe ich mich oft am Flughafen in Tetovo stehen - mit gepacktem Rucksack und abflugbereit. Ich warte auf die Maschine, die mich
- und damit meine ich die alte Daniela - endlich nach Hause bringt.
Ich stehe und warte und bete, der Pilot möge mich bitte nicht vergessen.
Ich warte noch heute. Die Maschine will und will nicht kommen.
Nicht nur Flashbacks plagen mich, ich entwickelte auch Phobien. Nach meiner Rückkehr aus dem Kosovo-Einsatz war es mir lange Zeit unmöglich, eine Grasfläche zu betreten. Als mich einer der vielen Therapeuten nach mehreren Überredungsversuchen plötzlich auf eine Wiese zog, fiel ich um, und alle Lichter erloschen. Nachdem ich aus der Ohnmacht erwacht war, wurde ich panisch und flüchtete aus der Therapie.
Schon der Gedanke an einen Rasen versetzte mich in Panik, und wenn ich eine Wiese im Fernsehen sah, bekam ich binnen Sekunden erst Beklemmungen und schließlich Atemnot. Dass ich heute, nach zehn Jahren, wieder Gras betreten kann, verdanke ich einem seltsamen Erlebnis.
Im Rahmen eines meiner ehrenamtlichen Arbeitsversuche fuhr ich ein paarmal als Sanitäterin in einem Rettungswagen mit. Die meisten Einsätze waren harmlos und schnell vergessen, doch einmal übernahm ich für einen erkrankten Kollegen eine Rettungswagenschicht, die vierundzwanzig Stunden dauerte.
Es war ein sonniger Junitag, ich war seit mittlerweile zweieinhalb Jahren wieder in Deutschland, und mein Kollege und ich wurden zu einem Kindernotfall gerufen. Die genaue Einsatzmeldung lautete: Strangulation.
Als ich das hörte, setzte mein Atem kurz aus. Mein Puls begann zu rasen, unzählige Bilder schossen mir durch den Kopf. Plötzlich
konnte ich mich nicht mehr an lebensrettende Sofortmaßnahmen erinnern. Wie reanimiert man nochmal ein Kind?, fragte ich mich. Welche Atemfrequenz muss ich einhalten? Kann es passieren, dass ich wieder schuld am Tod eines Kindes sein werde?
Als ich auf dem Weg zum Unfallort aus dem Seitenfenster sah, zog die Umgebung wie in Zeitlupe an mir vorbei. Vor Ort angekommen, war ich in Schweiß gebadet. Beinahe wäre mir der Notfallkoffer aus den Händen gerutscht.
Was ich sah, war dies: Ein kleiner Junge - vier, fünf Jahre alt - hatte sich in den Seilen einer Schaukel verstrickt. Dort hing er nun, sein Gesicht dunkelblau verfärbt.
Der Notarzt und ich sprinteten zu dem Jungen.
Intubation. EKG-Elektroden an. Sauerstoffbrille.
Wir bereiteten eine Absaugung vor.
Mechanisch machte ich die nötigen Handgriffe. Aber innerlich schlug mir das Herz heftig gegen die Brust.
Wir arbeiteten Hand in Hand, versuchten auf jede nur denkbare Weise, den Kreislauf des Jungen zu stabilisieren.
Wir waren zum Scheitern verurteilt.
Der Junge sollte es nicht schaffen. Rasch war
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