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Mit der Linie 4 um die Welt

Mit der Linie 4 um die Welt

Titel: Mit der Linie 4 um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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wäre, es herauszubekommen. Willkommen in der globalisierten Welt! Im Budapester Szupermarket jedenfalls ist nur die Paprikapaste ungarisch.

Südlich von
Ost nach West
    Buenos Aires, Argentinien
    W ie ein Monolith steht der Palacio de Correos, auch Correo Central, Hauptpost, genannt, an der Avenida Leandro N. Alem. Das klassizistische Gebäude, errichtet nach Plänen des französischen Architekten Norbert-Auguste Maillart, wurde, obwohl seit 1888 geplant, erst 1928 vollendet, sieht aber aus, als sei es geradewegs aus dem Frankreich des siebzehnten Jahrhunderts angeflogen gekommen. An der Fassade kleben die Symbole des Götterboten Hermes – Flügelschuhe, Heroldstab und Reisehut.
    Die Post war früher eine wichtige Einrichtung. Sie verband die Emigranten mit ihrer alten Heimat, und es soll im zweiten Stock einen Saal gegeben haben, in dem die Briefe auslagen, die mit der Adresse »postlagernd« angekommen waren. Manche der aus Europa Eingewanderten gingen täglich die steilen Stufen zum Haupteingang hoch – in eine Kathedrale der Sehnsucht. Die Sehnsucht nach dem alten Europa ist inzwischen geschwunden, und Briefe sind aus der Mode gekommen. Heutzutage sitzen die Leute in den engen Telefonkabinen, um E-Mails zu verschicken oder zu telefonieren. Im Hauptsaal der Post geht es gemächlich zu. Man muss eine Nummer ziehen und sich die Zeit an den runden Schreibpulten mit den ziselierten Messingverblendungen vertreiben. Vielleicht sind die Angestellten an den Schaltern so langsam, damit die Kunden die aufwendige Architektur des schlecht beleuchteten Saals ausgiebig begutachten können.

© Annett Gröschner

Die Buslinie 4 setzt an der Hauptpost ein. So steht es jedenfalls im Stadtplan. Aber vor der Haupttreppe neben der Plazoleta del Tango, wo die Antiquare ihre Ware anbieten, stehen nur die Busse der Linie 159, unterteilt in die langsamen, die schnellen und die, die sich »semirapido« nennen – halb schnell. Vor ihnen sammeln sich die längsten Schlangen. Ein Dispatcher zeigt in nördliche Richtung, zur Sonne hin. Für Bewohner der Nordhalbkugel erweist sich das Ausrichten nach Himmelsrichtungen in Buenos Aires als schwierig. Mittags steht die Sonne im Norden, und viele der Stadtpläne sind nach Osten ausgerichtet. Die Linie 4 fährt am Luna Park ab, zwei Straßen weiter, wo die Plaza Roma sich zwischen die hohen Häuser zwängt. In der Mitte des Römischen Platzes steht einer dieser Gummibäume, deren ausladende Zweige von Holzbohlen gestützt werden müssen. Sie weisen darauf hin, dass das hier nicht Europa ist. Es ist Frühling in Buenos Aires, aber den immergrünen Gummibäumen ist das egal. Auch der Luna Park ist nicht das, was Mitteleuropäer dafür halten könnten. Es ist ein Sportpalast, in dem auch Musikveranstaltungen stattfinden. Aber die besten Jahre sind für ihn vorbei, die Boxkämpfe, die auf der Fassade abgebildet sind, wurden schon lange eingestellt.
    Die Busse in Buenos Aires haben einen ähnlich schönen Namen wie die Bewohner der Stadt. Letztere heißen Porteños, auch wenn sie weder über den Schiffs- noch über den Flughafen angekommen sind. Die Porteños nennen ihre Busse Colectivos, und es gibt Tageszeiten, da steht man in ihnen kollektiv wie in einer Fischbüchse. Dreihundertundeine Linien führt der Stadtplan auf, von Linie 1 bis 792.
    Der Bus Nr. 4, der eine Runde um den Platz gedreht hat und nun die ersten Fahrgäste aufnimmt, ist leicht an seiner Farbe zu erkennen. Alle Busse der Linie sind weiß und haben schwarz-rote oder schwarz-rot-goldene Streifen unter den Fenstern. Anders als in sämtlichen Metropolen der Welt sind die meisten Busse nicht mit Reklame beklebt, was dem Auge guttut. Jede Buslinie hat ihren eigenen Besitzer. Die Gesellschaft, die die 4 betreibt, heißt Sol de Mayo, Maisonne. Die Fahrgäste betreten den Bus durch die vordere Tür und sagen dem Fahrer die Anzahl der Fahrkarten an. Der schaltet den entsprechenden Betrag am Automaten hinter ihm frei. Bezahlt werden kann nur mit Münzen. 80 Centavos kostet eine Fahrt, egal, ob man fünf oder fünfundzwanzig Kilometer mitfährt. Nach dem gegenwärtigen Kurs sind das weniger als 23 Cent. Es sind alte Mercedesbusse, die Sitze sind durchgesessen, der Bus ächzt in den Achsen bei jeder Kurve. Der Fahrer ist ein Indianer auf Kriegspfad durch den Verkehr der Stadt, und er sieht auch so aus.
    Bis vor ein paar Jahren war hinter dem Luna Park wüstes, aufgegebenes Hafenareal. Der Puerto Madero hatte mit dem Aufkommen der

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