Mit der Linie 4 um die Welt
1996 endet sie auf dem Busbahnhof an der Avenida Mosconi 550 in der Vorstadt Lomas del Mirador. Alle fünf Minuten fährt ein Bus auf den engen Hof und ein anderer macht sich auf den Weg zurück in die Stadt.
Auf der anderen Straßenseite befindet sich der Club Edelweiss 2, der sich hierher verirrt zu haben scheint. Es ist das modernste Gebäude neben dem Fitnesscenter, zudem gibt es Garagen und Autowerkstätten. Mit Emilio gerate ich in einen Imbiss, den offensichtlich noch nie ein Fremder betreten hat. Es ist ein Familienbetrieb, die Besitzer sind schon alt. Der Vater strahlt die Würde eines Patrons aus, kann sich aber die Bestellungen nicht mehr merken. Sanft von seiner Tochter dirigiert, läuft er in kleinen Schritten einmal draußen auf der Straße um seinen Imbiss herum, um das Milanese doch noch an den richtigen Tisch zu bringen.
Der Bus zurück erreicht nach zwei Haltestellen wieder die Stadtgrenze. Wir tauchen ein in den Nachmittagsverkehr. Aber vielleicht ist es auch eher so wie in Borges’ Versen über die mythische Gründung von Buenos Aires: »Dass Buenos Aires jemals begonnen hat, kann ich kaum glauben: / Mir erscheint es so ewig wie die Luft und das Wasser.«
Im wilden
Elbflorenz
Dresden, Sachsen
I ch bin mit der 4 nie bis zur Endhaltestelle in Weinböhla gekommen. Ich war auch nicht in Radebeul-West. Ich erreichte immer nur die Stadtgrenze Dresdens, kurz hinter der Autobahn. Mal fuhr die 4 wegen Bauarbeiten nur verkürzt, mal hatte ich nicht genug Zeit, mal kein Kleingeld für eine Übergangsfahrkarte von Tarifzone 10 zu Tarifzone 52. Die Strecke von Radebeul-Ost nach Weinböhla ist eine aus dreiundzwanzig Haltestellen bestehende Leerstelle. Ein Loch. Als wäre da jemand gewesen, der einem wie im Traum einen Fuß festhielt, aber wenn man sich umdrehte, war da niemand. Schloss Wackerbarth, die Landesbühnen Sachsen, die Lößnitzgrundbahn und das Karl-May-Museum hätte ich besuchen können, hätte ich es jemals geschafft, die unsichtbare Grenze zu überschreiten. Aber vielleicht wäre es mir mit dem Karl-May-Museum wie mit dem Nietzsche-Haus in Naumburg gegangen: Ich komme an, und es ist seit einer halben Stunde geschlossen. Natürlich könnte ich mir den Besuch des Karl-May-Museums auch ausdenken. Karl May kam ja erst nach Amerika, lange nachdem er seine Bücher geschrieben hatte, und auch dann nur bis an die Ostküste. Die Prärie hat er nie gesehen. Ich dagegen bin oft in Dresden gewesen (und ein Mal sogar für eine Nacht in Radebeul, wo ein Freund ein Haus an einem Weinberg hütete, aber ich habe keine Erinnerung mehr, wie wir dort hingekommen sind).
© Annett Gröschner
Die Dresdner Linie 4, die Viere, ist eine der längsten der Welt: 28,7 Kilometer, Fahrzeit: achtzig Minuten. Da kann sie sich mit Peking, Buenos Aires und Manhattan messen. Auch die verkürzte Fahrt von der nordwestlichen Stadtgrenze Dresdens bis nach Laubegast unweit der östlichen Stadtgrenze dauert fünfzig Minuten.
An der Haltestelle Forststraße, gleich neben dem Harley-Haus mit einschlägigen Motorrädern auf dem Gehweg, hält eine der Siemens-Niederflurbahnen, die seit einigen Jahren die alten Straßenbahnen auf der Strecke abgelöst haben. Ganz leise fährt sie an, anders als die Tatra-Bahnen, die nach dem Klingeln und Schließen der Türen erst einmal heulten und klagten, als würden sie es nie und nimmer auch mit nur einem Fahrgast schaffen, wieder anzufahren. Sie hatten Schalensitze aus rotem und weißem Kunststoff, die in kälteren Jahreszeiten immer feucht waren, wenn die Heizung unter ihnen ausfiel und an den Haltestellen alle Türen gleichzeitig aufgingen. aussteigen einsteigen. Die Sitzplätze der neuen Niederflurbahnen sind in den Dresdner Stadtfarben gelb und schwarz gepolstert, was immer ein bisschen den Eindruck erweckt, man fahre in einer Fan-Bahn des Fußballclubs Dynamo Dresden. Aber nur, wenn die Bahn leer ist. Die hier ist halb leer.
Die Stadt hat als Marketingmaßnahme zusammen mit den Verkehrsbetrieben die Linie 4 zur »Kultourlinie« gemacht, wegen der vielen historischen Bauwerke und Kultureinrichtungen an der Strecke. Slogan: »Die beste Verbindung zwischen Wein, Kunst und Kultur.«
Nach Karl May in den Weinbergen von Radebeul kommt hinter der Stadtgrenze aber erst einmal Alltag auf der Leipziger Straße, die die Stadtteile Kaditz, Trachau, Mickten, Pieschen und die Leipziger Vorstadt verbindet. Die Ausfallstraße wurde erst nach dem großen Hochwasser von 1784 angelegt. Die Elbe hatte die
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