Mit der Linie 4 um die Welt
Leipziger Straße von der 4 in die 11 umsteigen. Davon berichtet die Lyrikerin Gudula Ziemer in ihrem Gedicht Dresden Nord. Montagmorgen. Fahren zu Pfunds : »(…) Linie 11 oder wie immer die unausgeschlafenen Kragen heißen aussteigen einsteigen Provo vom Neustädter Schlafwandler Schwarzfahrer schöne schwangere Jungfrau ningelndes Kind.« Der leicht säuerliche Geruch beim Betreten der Molkerei ist heute fast völlig verschwunden, wie auch Villeroy & Boch nach der Wiedervereinigung keine Verwendung mehr hatte für die Fabrikgebäude. Stattdessen verrottet an derselben Stelle seit Jahren ein Bauschild für ein Wohn- und Geschäftshaus. In den Räumen des Schlachthofs ist inzwischen eine Konzerthalle, das Verwaltungsgebäude zerschlagen, angekokelt und vernagelt. Verschwunden sind die Männer mit dem Bier und den groben Witzen, die alte Frau aus der gegenüberliegenden Wohnung, die jeden Morgen zur selben Zeit ihr Wasser im Flur holte und sich nicht helfen ließ beim Tragen, verschwunden meine Freundin und ihre Katze, die der Umzug nach Leipzig so unglücklich machte, dass sie von dort bis in die Leipziger Straße zurücklief, wo niemand es ihr glauben wollte, außer denen, die sie kannten. aussteigen einsteigen. Manchmal nahmen wir die 4 in Richtung Osten, um etwas zu erleben.
Uwe Tellkamp hat diese Fahrt auf der Leipziger Straße in den achtziger Jahren in seinem Roman Eisvogel beschrieben: »Erinnerst du dich, wie die Straßenbahn in den Schienen schlenkerte und Funken stoben, wenn sie, von der Haltestelle Leipziger Straße kommend, vor dem Bahnhof Neustadt um die Ecke bog, die rot-weiß gestrichene tschechische Tatra-Bahn mit den Haltestellenschildern aus Pappe, wie sie gegen die Fenster schlugen, und die Heimkehrenden darunter waren in ihre Zeitungen oder Bücher oder Gedanken versunken …« Halt. Da war man schon zu weit. Nie bog die 4 von der Kreuzung an der Leipziger Ecke Antonstraße nach links in Richtung Neustädter Bahnhof ab. Auch die 5 und die 9 nicht, die ebenfalls auf der Leipziger Straße fuhren. aussteigen einsteigen . Die 4 nahm den Weg geradeaus ins barocke Dresden, musste aber erst noch an der zerstörten Ecke vorbei, wo der Bombenkrieg nur noch eine Erdgeschosszone übrig gelassen hatte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Seit Jahren residiert hier ein Sexshop. Ein seltsamer Ort. »Die beste Verbindung zwischen Wein, Weib und Gesang.« Immer noch fährt die 4 in Richtung Neustädter Markt, vorbei am Japanischen Palais und der barocken Königstraße, bis August der Starke, der Goldene Reiter, bei seinem Ritt in die Neustadt linker Hand ins Blickfeld gerät. Die Bahn biegt nach rechts ab auf die Augustusbrücke – und dann ist da plötzlich der Canaletto-Blick, fast vollständig wiederhergestellt durch Aufbau und Abriss.
Die Elbe ist viel stärker in das Stadtbild Dresdens eingebunden als in anderen Städten, durch die sie fließt. Hier war und ist der Fluss auf Kilometer auch in der Innenstadt präsent und nicht durch Industrieanlagen oder Privathäuser verbaut. Immer gab es auf mindestens einer Seite einen Weg dicht am Ufer entlang, der allen zur Verfügung stand. Der Schriftsteller Gregor Kunz hat in seinem Essay Dresden in der Mehrzahl auf die Prägung der Stadt durch den Fluss hingewiesen: »Die Elbe ist immer noch Dresdens Mitte, ein nicht zu betretendes Zentrum, das sich queren lässt. Queren die Dresdner die Elbe, dann sehen sie unwillkürlich nach rechts und nach links, den Fluss rauf und runter: Wie geht’s uns? Respekt!« Und wirklich, wenn die Straßenbahn auf der Mitte der Brücke ist, schauen fast alle aus dem Fenster.
Auch der Schaffner in Eberhard Panitz’ 1979 erschienener Erzählung Meines Vaters Straßenbahn bekommt ein gewisses Hochgefühl bei der Fahrt über die Brücke: »Bei guter Laune wies er Fremde auf Sehenswürdigkeiten hin: ›Die katholische Hofkirche, das Schloss mit dem Fürstenzug, einhundertzwei Meter lang, auf Kacheln original Meißner Porzellan.‹ Er erzählte mir die komischsten Geschichten von der alten Stadt, an die er offenbar selbst glaubte. ›Die Kuppel der Frauenkirche ist aus Quark gemauert, weil es früher noch keinen Mörtel gab. Und August der Starke fuhr im Winter mit dem Schlitten vom Schloss Moritzburg, sechzehn Kilometer, überall war Salz gestreut.‹ Er zeigte mir die Stelle im Geländer der Brühlschen Terrasse, die einem Daumenabdruck ähnlich war. ›Da hat der König kurz draufgedrückt, als er einmal hier stand.‹«
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