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Mit der Linie 4 um die Welt

Mit der Linie 4 um die Welt

Titel: Mit der Linie 4 um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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könnte als in den Berliner Doppeldeckern, wo nur ein niedriges Geländer angebracht ist.
    Der Bus biegt von der Endhaltestelle des T4 in die Qianmen Xi Dajie ein, und man kann noch einmal und von einem leicht erhöhten Standpunkt diagonal über den Platz des himmlischen Friedens blicken, ganz am Ende das Tor zur Verbotenen Stadt. Der T4 folgt vier Haltestellen dem Weg der Linie 2 der Metro in Richtung Westen, dann schwenkt der Bus am Zentralen Konservatorium auf die zweite Ringstraße, die die Innenstadt Pekings umschließt. Bisher sind wir an Wohnblöcken aus den siebziger Jahren entlanggefahren, nun sind wir auf einer Stadtautobahn, die in regelmäßigen Abständen von Brücken überspannt wird, auf denen Losungen mit weißer Schrift auf rotem Grund stehen. »Geist Pekings«, entziffert Anne. Der Bus ist halb leer. Anne erzählt, dass sie nur ein paar Monate nicht in Peking war, aber als sie zurückkam, hat sie die Stadt an manchen Stellen nicht wiedererkannt, so schnell hatte sich alles verändert. Plötzlich waren da zwei nagelneue U-Bahnlinien. Und auch jetzt fahren wir an U-Bahnbaustellen vorbei. Sie sind an den hohen provisorischen Häusern mitten auf der Straße zu erkennen, die die Baustellen verbergen. Es gibt keine provisorischen Bauzäune, sondern blickdichte Mauern, wahrscheinlich damit niemand die Baufahrzeuge klaut. Gleich nebenan stehen die Bauarbeiterunterkünfte.
    In der Mitte der Frontscheibe ist ein Monitor, auf dem Werbung läuft, und auch aus den Lautsprechern schallt Werbung, nur kurz unterbrochen von der Haltestellenansage auf Chinesisch und Englisch. Die ganze Zeit über werden wir von verzückten Stimmen begleitet. Ich will nicht wissen, wofür sie werben, aber man kann ihnen nicht entgehen.
    Schon seit Fahrtbeginn sitzt eine alte Frau rechts neben mir. Sie wirkt wie erstarrt, ihren Strohhut in der linken Hand, mit der rechten hält sie sich am Griff des Vordersitzes fest, dabei schaut sie unablässig aus dem Fenster, immer in dieselbe Richtung. Im Unterdeck zieht jemand, es hört sich an wie ein alter Mann, den Rotz hoch, ein Mal, zwei Mal, drei Mal, bis sich auch der Letzte vorstellen kann, wie das aussieht, was da aus der Lunge kommt. Das Spucken ist nichts Ungewöhnliches, eher bekommt jemand, der in ein Taschentuch schnäuzt, angewiderte Blicke zugeworfen. Es ist die kleine zarte Schaffnerin, die nach drei Mal Nase-Hochziehen das Fenster öffnet und auf die Straße speit. Vielleicht erklärt das auch die chinesische Mentalität, immer alles Alte abzureißen und Neues zu bauen, damit nichts bleibt von der Vergangenheit, dem Aufgestauten. Neben dem Spucken auf den Fußboden sind auch Tiere im Bus nicht erlaubt, keine Waffen, Sprengmaterialien und radioaktive Stoffe.
    Ein alter Mann trägt ein kleines Mädchen die Treppe hoch und setzt es auf den freien Platz hinter mir. Sein schwarzes Kleid mit den weißen Streublümchen passt zu den schwarzen Augen, den schwarzen Haaren und der weißen Haut. Es singt leise vor sich hin und springt manchmal auf, um in die Hände zu klatschen. Dann wird es vom Großvater unsanft in den Sitz zurückgedrückt. Ich muss kein Chinesisch verstehen, um zu sehen, dass der Großvater bei aller Liebe überfordert ist. Der Stadtführer hat mir erzählt, dass es in Peking üblich sei, dass die Großeltern auf die Enkel aufpassten, der Staat habe sich längst darauf eingestellt, man spare so die Ausgaben für Kindergartenplätze. Es sei ja wegen der Ein-Kind-Politik selten mehr als eins. Das Rentenalter beginnt früh, für Frauen mit fünfundfünfzig Jahren, für Männer mit sechzig. Wenn es angehoben werden würde, bräche das Kinderbetreuungssystem zusammen. Am Zoo steigen Großvater und Enkelin wieder aus. Der gedruckte Reiseführer sagt, es lohne sich nur das Aquarium. Interessanter ist das Gelände daneben, das aussieht wie eine Kopie der Allunionsausstellung in Moskau und dessen Architektur vermuten lässt, dass es aus der Zeit stammt, als China und die Sowjetunion noch engste Verbündete waren. Inzwischen nähern sich die beiden Großmächte wieder an. Auf dem Areal gibt es eine Ausstellung über Städte und Umweltschutz. Ein paar jugendliche Bauarbeiter haben sie sich gerade angesehen. Vielleicht war es eine Weiterbildungsveranstaltung oder die Ausstellung wird noch aufgebaut. Gegenüber, auf einem dieser vielen großen namenlosen Plätze, sitzen junge Männer mit Tausenden von Rollschuhen und Rollerskates, die man gegen ein kleines Entgelt mieten kann.
    Wenn

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