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Mit der Reife wird man immer juenger

Mit der Reife wird man immer juenger

Titel: Mit der Reife wird man immer juenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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konventionellen Zeichen ausdrücken. Er fragt: »Hat das Leben einen Sinn?«, und das klingt vag und töricht wie ein Knabenweltschmerz. Aber er meint ja nicht »das« Leben, es ist ihm ja nicht um Philosophien, Dogmatiken oder Menschenrechte zu tun, sondern er meint einzig und allein sein Leben, und er will von meiner angeblichen Weisheit keineswegs einen Lehrsatz hören oder eine Anweisung in der Kunst, dem Leben einen Sinn zu geben; nein, er will, daß seine wirkliche Not von einem wirklichen Menschen gesehen, einen Augenblick geteilt, und dadurch für diesmal überwunden werde. Und wenn ich ihm diese Hilfe gewähre, so bin nicht ich es, der geholfen hat, sondern es ist die Wirklichkeit seiner Not, die mich Alten und Weisen für eine Stunde des Alters und der Weisheit entkleidet und mit einer glühend eisigen Welle von Wirklichkeit übergossen hat.
    (Aus »Geheimnisse«, 1947)

    D as Alter ist kein Feind, den man bekämpfen oder gar beschämen könnte, es ist ein rutschender Berg, der uns zudeckt, ein langsam kriechendes Gas, das uns erstickt.
    (Aus einem Brief vom 26. 12. 1939 an Rolf Schott)
Ende August
    N och einmal hat,auf den wir schon verzichtet,
Der Sommer seine Kraft zurückgewonnen;
Er strahlt, zu kürzern Tagen wie verdichtet,
Er prahlt mit glühend wolkenlosen Sonnen.

    So mag ein Mensch am Ende seines Strebens,
Da er enttäuscht sich schon zurückgezogen,
Noch einmal plötzlich sich vertraun den Wogen,
Wagend im Sprung die Reste seines Lebens.

    Ob er an eine Liebe sich verschwende,
Ob er zu einem späten Werk sich rüste,
In seine Taten klingt, in seine Lüste
Herbstklar und tief sein Wissen um das Ende.

    D as Kranksein und Sterben sollte nur den alten Leuten zugemutet werden, nicht den noch jungen, kräftigen und Zufriedenen. Man wehrt sich dagegen, man erschrickt und empfindet es als brutal und unnatürlich, denn der Mensch weiß zwar mit dem Verstande, daß es in der Natur keineswegs freundlich und schonend zugeht, aber für gewöhnlich hält er sich doch an die sanften und heiteren Aspekte der Natur und sucht sie sich als Mutter, als Hegerin und Freundin des Lebenden vorzustellen. Wenn sie dann den schönen Schein durchbricht und mit der Pranke nach einem von uns schlägt, ist es immer schrecklich und wie ein gewaltsames Erwachen aus lieben Illusionen und Gewohnheiten.
    (Aus einem Brief vom 23. 8. 1947 an Otto Basler)

    D as Übriggebliebensein und sich Durchgebissenhaben ist auch etwas, und schmeckt wie die Gebärde eines krummen Astes an einem alten Baum.
    (Aus einem Brief vom 17. 10. 1928 an Manuel Gasser)

    D er Bruder Leib ist oft ein lästiger, weil allzu naher Verwandter. Und das »Überwinden der Welt« ist ja kein Zustand, sondern ein Tun, sogar ein Kampf, bei dem man nicht immer oben zu liegen kommt.
    (Aus einem Brief vom Juli/August 1962 an Gertrud von Le Fort)

    I ch will Ihnen Kraft und Geduld wünschen im Kampf mit dem Alter, bei dem man auch im Unterliegen gewinnen kann.
    (Aus einer Postkarte um 1950 an Siegfried Seeger)
Der Blütenzweig
    I mmer hin und wider
Strebt der Blütenzweig im Winde,
Immer auf und nieder
Strebt mein Herz gleich einem Kinde
Zwischen hellen, dunklen Tagen,
Zwischen Wollen und Entsagen.

    Bis die Blüten sind verweht
Und der Zweig in Früchten steht,
Bis das Herz, der Kindheit satt,
Seine Ruhe hat
Und bekennt: voll Lust und nicht vergebens
War das unruhvolle Spiel des Lebens.
Herbstliche Erlebnisse
    D er unvergleichliche Sommer dieses Jahres, eines für mich an Geschenken, Festen, Herzenserlebnissen, aber auch an Plage und Arbeit überreichen Jahres begann gegen sein Ende hin etwas von seiner so freundlichen, gnädigen, heiteren Laune zu verlieren, er bekam Anfälle von Trübsinn, von Ärger und Unlust, ja schon von Überdruß und Sterbensbereitschaft. War man nachts bei hellstem Sternenhimmel zu Bett gegangen, so empfing einen zuweilen am Morgen ein dünnes, graues, müdes und krankes Licht, die Terrasse war naß und strömte feuchte Kälte aus, der Himmel ließ schlaffe, formlose Wolken bis tief in die Täler herab hängen und schien jeden Augenblick zu neuen Regengüssen bereit, und die Welt, die eben noch in Sommerfülle und Sommersicherheit geatmet hatte, roch bang und bitter nach Herbst, Verwesung und Tod, obwohl noch immer die Wälder und sogar die Grashänge, die sonst um diese Jahreszeit verbrannt und braungelb stehen, ihr festes Grün behielten. Er war krank geworden, unser eben noch so rüstiger und zuverlässiger Spätsommer, er war müde

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