Mit der Zeit
wollte, über Radendorf und den Wurzenpaß, der bog links ab. Beide Grenzen waren etwa gleich weit weg.
Wir bogen links ab, und als dann die vor uns liegende Straße schmäler wurde, begannen wir plötzlich schneller zu fahren.
Fünfzehntes Kapitel
Z
uerst hielt der Kastenwagen noch Schritt. Die Straße war ziemlich gerade und führte durch ein Tal mit hohen, steilen, baumbewachsenen Abhängen zu beiden Seiten. Vor uns lag jedoch eine scheinbar undurchdringliche Mauer aus Bergen. Es herrschte wenig Gegenverkehr, meistens kleine Lastwagen mit landwirtschaftlichen Produkten. Wenn nicht das Schild versprochen hätte, daß die Straße zu einem Paß führte, hätte ich gesagt, wir befänden uns in einer Sackgasse.
Die Straße wurde immer schmäler, und die Steigung nahm zu. Der Kastenwagen lag nun fünfzig Meter zurück. Der Citroën mit unserem ›Hirten‹ begann nach außen zu drängen, bereit, zu überholen und sich hinter uns zu hängen. Ich fragte mich, wie lange wohl das Rasmuk-Team in Italien – inzwischen zweifellos darüber informiert, daß wir die verkehrsreiche, polizeiüberwachte internationale Fernstraße gegen eine relativ ruhige Gebirgsstraße vertauscht hatten, auf der alles passieren konnte – dazu brauchen würde, seinen Hinterhalt ein paar Kilometer zu verschieben und an die italienisch-jugoslawische Grenze zu verlegen. Etwa so lange, nahm ich an, wie ich brauchen würde, um an der Grenze das Antragsformular auszufüllen und ein Visum zu erstehen. Ich wandte mich an Zander.
»Ich will Sie nicht nur darauf aufmerksam machen, daß uns an dieser Grenze keine Carabinieri-Eskorte begrüßen wird«, sagte ich, »sondern Ihnen jetzt schon sagen, daß ich für Jugoslawien kein Visum habe.«
Er beachtete mich nicht. Seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich dem Kastenwagen. Es war Simone, die mir antwortete.
»Wir fahren nicht nach Jugoslawien.« Ihr Blick ging vom Rückspiegel auf die Straße und zurück. »Wir fahren auch nicht nach Italien. Der Patron kennt diese Straße. Er ist als Gefangener am Ende des Hitler-Krieges auf ihr gegangen. Hier werden wir Bourger abfertigen. Dann fahren wir in den Norden nach Deutschland. Das hat der Patron heute nachmittag, als Sie filmten, mit Ihrem Herrn Schelm ausgemacht. Sicher, ich weiß, Bourger hat uns eine Bande aus Linz angedroht, aber welche Rolle spielt das schon, wenn er nicht mehr weiß, wo wir sind? Der Weg in den Norden nach Deutschland ist die einzige sichere Route für uns, weil es dort für sie am schwierigsten ist, uns zu überwachen.«
Es klang sehr nüchtern und sachlich, wie sie das sagte, aber ich war nicht überzeugt, daß sie daran glaubte, so wenig wie ich glaubte, daß ihr Vater als Kriegsgefangener auf dieser Straße gegangen war. Wenn das im Jahr fünfundvierzig gewesen wäre, dann wäre er als Feldwebel der Abwehr hier gewesen, zur Tarnung in abgetragenen Zivilkleidern und mit den Ausweispapieren eines nicht-deutschen Fremdarbeiters. Zusammen mit anderen wäre er den Schildern nachgegangen, die zu einem D. P.-Lager in der amerikanischen Zone führten.
»Und wie wollen Sie Bourger abfertigen?« fragte ich.
»Ihn abschütteln natürlich.«
Sie wollte den Eindruck erwecken, als sei sie ungehalten über meine Langsamkeit, aber es gelang ihr nicht recht. Zander hörte den Zweifel in ihrer Stimme.
»Hör jetzt auf zu reden und achte auf die Straße«, sagte er scharf. »Wir kommen gleich an die erste Kurve und müssen jede Sekunde herausholen.«
Die Straße krümmte sich plötzlich nach rechts und ging dann in eine Linkskurve, die weit über einen halben Kilometer lang sein mußte. Und sie stieg stetig an, wie eine gewaltige Rampe. Simone schaltete zweimal herunter und beschleunigte dann mit quietschenden Reifen. Hinter uns orientierte sich Guido zur Straßenmitte hin und blieb dort.
Oben kam eine Haarnadelkurve nach rechts, und ich stellte fest, daß ich fast senkrecht nach unten blicken konnte, wo der Kastenwagen sich langsam die Rampe hochschob. Genau in dem Moment versuchte der Fahrer des Citroën, sich mit Gewalt einen Weg zu bahnen, und beide Fahrzeuge schwankten und schaukelten, als sie sich berührten. Der Citroën mußte sich jedoch wieder zurückfallen lassen. Zander sagte: »Ha!« und fuhr fort, in der Berbersprache auf die jungen Leute einzureden; es war offensichtlich eine Reportage vom laufenden Geschehen.
Dann versuchte es der Rasmuk-Fahrer erneut. Diesmal fuhr er schwungvoll über die Gegenfahrbahn ein wenig auf die
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