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Mit der Zeit

Mit der Zeit

Titel: Mit der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Zangenbewegung geben.
    Seltsamerweise wußte ich ganz genau, was er vorhatte. Er mußte davon ausgehen, daß einer oder mehrere von uns bewaffnet waren. Männer mit einer Vergangenheit, wie Zander sie hatte, so sagte er sich wohl, trugen gerne Handfeuerwaffen bei sich, und dieser junge Berber eiferte ihm wahrscheinlich nach. Jedenfalls wollte er versuchen, uns zum Schießen zu verleiten. Das Risiko, dabei selber getroffen zu werden, schien ihm offenbar, gemessen an den Vorteilen, nicht allzu groß. Der Anführer, der sich selber als Zielscheibe anbietet, braucht oft keine Befehle zu geben. Wenn er uns erst mal dazu verführt hatte, unser Versteck zu verraten, genügte ein Kopfnicken, und seine Männer erledigten den Rest. Es würde eine schnelle, saubere und problemlose Operation werden, eine Auszeichnung für Rasmuk und – natürlich – für Raoul Bourger. Der Trick, den Feind zum Schießen zu verleiten, ist eine alte Taktik bei der Infanterie. Sie funktioniert nur dann nicht, wenn sie gegen einen äußerst disziplinierten Feind angewandt wird, der den Trick ebenfalls kennt und weiß, wie er ihn zu seinem eigenen Vorteil umkehren kann.
    Trotzdem fragte ich mich, warum Zander der Versuchung nicht nachgegeben hatte, den Killer-Wunderknaben ein für allemal loszuwerden. Ich brauchte einen Moment, bis mir klarwurde, warum er nicht geschossen hatte. Hätte er Bourger und seinen Begleiter getötet, dann hätte er damit nur die zwei übrigen Mitglieder des Teams wissen lassen, daß sie mehr als nur Faustwaffen gegen sich hatten. Sie hätten dann sofort gewußt, was zu tun war. Der Citroën stand hinter den Steinmauern der alten Scheuer in Sicherheit. Sie hätten also nur an das Funkgerät in dem Wagen kommen müssen, um Verstärkung anzufordern; dann hätten sie mit ihren Waffen den Wanderpfad sichern und in aller Ruhe abwarten können. Das italienische Team, das auf der anderen Seite der Grenze wartete, hätte in weniger als einer Stunde bei uns sein können. Wir hätten bleiben können, wo wir waren, oder wir hätten auf dem Höhenweg Spazierengehen können, aber wir hätten absolut nichts tun können, um lebend herauszukommen.
    Nein. Es war unsere Seite, die den Feind zum Schießen verleiten mußte, und plötzlich hörte ich, wie wir genau das versuchten.
    Simone rief etwas zu Bourger hinunter. Sie sagte es auf arabisch, so daß ich nicht genau verstand, was sie sagte, aber ich wußte genug, um sie dem Sinn nach zu verstehen.
    »Bruder Bourger?« rief sie. »Bruder Raoul? Was zahlt dir Rasmuk dafür, daß du uns tötest?«
    Ihre Stimme bekam von der Bergwand einen eigenartigen Nachhall mit. Hätte ich nicht gesehen, daß sie nur mit einem Gewehr und einer Schultertasche voll Munition hier heraufgestiegen war, hätte ich angenommen, daß sie einen Lautsprecher verwendete.
    Die Reaktion Bourgers war verblüffend. Er machte einen Satz zur Seite und landete in einer Hockstellung, die fast übergangslos in einer Rolle endete. Dann verschwand er hinter der Kante des Wanderpfades. Im gleichen Augenblick zerfetzte eine Salve seines Mannes auf unserer linken Flanke die unteren Äste eines Baumes ein paar Meter neben mir.
    »Ach Bruder Raoul«, klagte Simone, »warum trachten uns deine Herren nach dem Leben? Damit du es nur weißt: sie werden nie ihr Geld sehen, nie. Warum riskierst du so viel für so wenig?«
    Sie hatte sich bewegt. Das war am Klang ihrer Stimme zu erkennen. Wieder wurde eine Salve in die Bäume gefeuert, diesmal so nahe, daß Kiefernnadeln auf mich herabregneten. Dann sah ich Bourger direkt unter uns über den Pfad rennen. Im Laufen machte er jemandem zu unserer Linken Zeichen.
    Simone lachte. »O Bruder Raoul«, rief sie, »sei vorsichtig. Sei vorsichtig, sonst erschießt du noch deine Freunde.«
    Aber er war sich der Gefahren eines Kreuzfeuers bewußt und drückte auf einen Knopf hinter dem CB-Mikrofon an seinem Rockaufschlag.
    Die beiden Männer, die sich den Hang hocharbeiteten, um in unseren Rücken zu gelangen, mußten ganz in der Nähe sein, denn obwohl er leise in sein Mikro redete, hörte ich seine Stimme in ihren Lautsprechern quäken. Einer von ihnen war nur wenige Meter über mir.
    Es folgte eine kurze Stille. Dann eröffnete Zander das Feuer.
    Ich behielt meinen Kopf unten und starrte unverwandt auf den Wanderpfad, denn das Unterholz war sehr licht, und ich fürchtete, der Mann über mir könne mein Gesicht sehen, wenn ich aufblickte. Und so sah ich Bourger sterben. Ich sah nicht, wie er

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