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Mit der Zeit

Mit der Zeit

Titel: Mit der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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aller Welt auszuüben, ein Autor gar nicht genügend Ideen haben kann.«
    »Solange das Manuskript nicht in druckreifer Form vorliegt, kann er soviel Ideen haben, wie er möchte. Mir geht es um die Zeitspanne zwischen der Erteilung der Druckgenehmigung und dem tatsächlichen Erscheinen.«
    »Das müssen Sie mir erklären. Ich kenne mich in diesen Dingen einfach nicht aus.«
    »In diesem geplanten Buch werden genaugenommen zwei Werke stehen, von denen eines, wie wir hoffen, ein Dokument von gewissem historischem Interesse ist. Das wird nur übersetzt und nicht weiter redigiert werden, höchstens daß man offenkundige Wiederholungen streicht oder schlampig geschriebene Passagen verständlicher macht. Damit können wir diesen Teil vergessen. Was ist aber mit Dr. Luccios Beitrag? Er hat offenbar vor, alles zu sagen, geradeaus und unverblümt. Unter anderem wird er auch über die Rolle seines Urgroßvaters in der ursprünglichen Terroristenbewegung schreiben, kein Zweifel, und er wird Parallelen zur Gegenwart ziehen, aber in erster Linie wird es ihm darum gehen, die direkte Beteiligung gewisser Regierungen an terroristischen Aktivitäten anzuprangern. Und er wird das in einer Art und Weise tun, die die zivilisierte Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Hab ich recht?«
    »Sie übertreiben natürlich.«
    »Nicht besonders. Wenn, wie Sie sagten, das Buch auf die Politik von Regierungen Einfluß nehmen soll, dann wird es erst irgendwelche Grundfesten erschüttern müssen. Es ist mir klar, daß Sie sich die Freiheiten eines Waschzettelverfassers erlaubten, als Sie mir das Buch schmackhaft machten, aber wenn es eine echte Wirkung erzielen soll, muß die von Dr. Luccios Beitrag ausgehen. Netschajews Abhandlung, sofern sie echt ist, wird dem Buch ein gewisses akademisches Gewicht verleihen, das einige kritische Beachtung finden wird, aber wenn allein das, was Netschajew über Netschajew schreibt, wirklich Gewicht hat, wird die Reaktion bestenfalls höflich sein. Wie gut ist also Dr. Luccio? Wie sensationell sind die Enthüllungen, die er zu machen hat, und von welcher Qualität sind seine Beweise?«
    »Das wird man abwarten müssen, sicher.«
    »Dann will ich noch direkter fragen. Woher wissen wir, daß die Motive Dr. Luccios und seines Patrons tatsächlich die sind, die Sie beschrieben haben? In meinem Beruf stößt man auf alle möglichen Gründe fürs Bücherschreiben. Sie sind oft äußerst merkwürdig.«
    »Eitelkeit, nehme ich an, wäre ein ziemlich normales Motiv. Oder Exhibitionismus. Der Schreibende will sich vor der Welt zur Schau stellen?«
    »Richtig. Häufige Motive sind auch Selbstrechtfertigung, Verteidigung anderer, ein Bedürfnis, andere Menschen zu irgendeiner sonderbaren religiösen Anschauung zu bekehren. Manchmal wird so ein Ding in der Hoffnung geschrieben, es könnte eine Menge Geld bringen oder einer nachlassenden Karriere mit der Publicity neuen Glanz verleihen oder gar eine ganz neue Karriere einläuten. Daneben gibt es die – echten oder eingebildeten – Bedürfnisse, eine Wahrheit aufzudecken oder eine Lüge zu verewigen, Heilige zu schaffen oder moralische Verpflichtungen gegen die Geschichte zu erfüllen. Es gibt das Bedürfnis, wie beispielsweise in unserem Fall, die Rezepte zu liefern, mit denen die Welt in Ordnung zu bringen ist. Das sind nur einige der häufiger vertretenen Motive. Ein ziemlich alltägliches Motiv ist auch das einfache Verlangen nach Rache.«
    Das brachte ihn beinahe zum Grinsen. »Wieviel Spaß Ihnen Ihre Arbeit machen muß! Ich hatte die Möglichkeiten nicht erkannt. Welches aus dieser Schar von Motiven ist es, das Sie im Zusammenhang mit Dr. Luccio beschäftigt?«
    »Eins, das ich noch nicht erwähnt habe. Es sieht folgendermaßen aus. Ich schreibe ein Buch mit Memoiren oder irgendwelchen Reflexionen. Darin bringe ich Fakten, Halbwahrheiten oder Anekdoten über Sie unter, die – falls sie veröffentlicht würden – Ihren Ruf ruinieren oder gar Ihr Leben bedrohen könnten. Dann lasse ich Sie wissen, daß ich das getan habe und daß ich gegen eine Entschädigung – gewöhnlich, aber nicht immer, finanzieller Natur – bereit bin, die fraglichen Passagen wegzulassen.«
    Er nickte freundlich. »Ah ja. Harriette Wilson.« Ohne abzuwarten, ob ich die Anspielung verstanden hatte oder nicht, erklärte er sie mir. »Das war eine vornehme Dirne, die im neunzehnten Jahrhundert in England lebte. Später in ihrem Leben, als sie kaum noch Kundschaft hatte, machte sie sich daran,

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