Mit der Zeit
gedruckten Etikett, und dann ihre Finger, die den Deckel von einer kleinen Flasche abschraubten. Als sie den Deckel abnahm, war der Geruch von Spiritus in der Luft.
Mit einiger Mühe bekam ich genügend Luft in meine Lungen, um sprechen zu können. »Was zum Teufel soll das sein?« krächzte ich.
»Das da, Mr. Halliday?« Sie griff nach dem Plastikfläschchen. »Thiopental-Natrium.«
Ich sagte: »Wenn das ein Kidnapping sein soll, sag ich’s am besten gleich: niemand wird auch nur einen Pfennig für mich bezahlen.«
Sie fingerte einen Baumwoll-Wattebausch aus der Tasche und kippte die Spiritusflasche dagegen. »Mein Name ist Simone Chihani«, sagte sie, »und Sie haben die Wahl. Sie wissen, wer ich bin, denn Mr. Pacioli hat es Ihnen bestimmt erzählt. Also, Sie können entweder friedlich mit uns kommen und unauffällig neben uns hergehen, oder wir können Sie einschläfern und Sie, in schmutzigen Bettüchern begraben, nach unten bringen, bevor wir Sie zu Ihrer Verabredung mit Dr. Luccio fahren. Aber wir haben keine übrige Zeit. Also, entscheiden Sie sich bitte. Freiwilliges Mitkommen oder schmutzige Bettücher. Was ist Ihnen lieber?«
Viertes Kapitel
F
reiwillig ging ich zwischen Chihani und ihrem Armfesselspezialisten zum Lastenaufzug, fuhr mit ihnen hinunter ins Kellergeschoß, und dann ging es auf die Tür zu, wo die Stempeluhr für die Hotelangestellten hing. Unser Weg führte an einer 24-Stunden-Küche und an einer Wäscherei vorbei, bevor wir zu der Tafel kamen, in der die Stechkarten steckten. Gleich dahinter befand sich ein kleines Büro mit einer Glasfront, hinter der ein fuchsgesichtiger Pförtner saß und das Kommen und Gehen überwachte. In seinem Radio lief eine Fußballübertragung, und obwohl er genau in meine Richtung schaute, als wir uns näherten, tat er, als ich ihn durchdringend anstarrte, nicht mehr, als einen nichtssagenden Blick auf Chihani zu werfen.
»Freundlich oder blind?« fragte ich.
»Einer von mehreren bezahlten Helfern hier. Seine Frau beaufsichtigt die Zimmermädchen auf Ihrer Etage. Sein Bruder ist einer der Chefportiers.«
»Und Sie haben dieses Hotel für mich ausgewählt. Ich fange an zu begreifen.«
»Das freut mich, Mr. Halliday. Je mehr Sie sich der Sicherheitsmaßnahmen bewußt sind, desto leichter wird alles sein.«
Wir waren nun im Freien in einer Ladezone. Vor uns war eine steile Rampe, die zur Straße hinaufführte, eingesäumt von einem schmalen Gehweg für Fußgänger und einer Parkbucht für Motorroller. Den Gehweg unmittelbar vor uns blockierte ein beigefarbener VW-Bus mit den uns zugewandten Rädern auf dem Bordstein und mit einer seitlichen Schiebetür, die offenstand. »Schnell einsteigen, bitte.«
Ich befolgte ihre Anordnung, und sie stieg hinter mir ein. Eine schwache Deckenbeleuchtung ließ erkennen, daß bis auf die hintere Sitzbank alles herausgenommen worden war, daß die Fenster mit geblümten Cretonne-Vorhängen abgeschirmt waren und daß hinter dem Fahrer eine straff gespannte Sichtblende aus dem gleichen Stoff jeden Blick nach vorn verhinderte. Niemand, der hier hinten saß, konnte sehen, wohin die Reise ging.
»Sie setzen sich in die Mitte, Mr. Halliday.«
Sie nahm am Fenster neben der Schiebetür Platz. Der Junge zog hinter sich die Tür zu und setzte sich so, daß nur der kleine Gang zwischen uns war. Es sollte verhindert werden, daß ich an den Vorhängen vorbei durch einen Spalt nach draußen spähen konnte.
»Wie lang soll denn das dauern?« fragte ich.
»Die Fahrt? Nicht mal eine Stunde. Wenn Sie müde sind, können Sie ja ein wenig schlafen.«
Ich machte mir nicht die Mühe, diesen idiotischen Vorschlag zurückzuweisen. Die Prellungen an meinen Knien und Schienbeinen waren nach wie vor deutlich zu spüren, und auch der Schmerz in meiner Schulter hatte noch nicht nachgelassen. Ihr teures Parfüm verursachte mir langsam Kopfschmerzen. Ein verzögerter Schock kann seltsame Nebenwirkungen haben.
Die Tür ging wieder auf, und der Teenager stieg herein. Sie hatte meinen Regenmantel dabei und warf ihn mir zu, bevor sie die Tür wieder zumachte und etwas zu dem unsichtbaren Fahrer sagte. Er gab ihr eine Antwort und ließ den Motor an. Sekunden später holperte der kleine Bus vom Gehweg herunter und schob sich die steile Rampe hoch. Sobald er sich in den Verkehr oben auf der Straße einfädelte, zogen die zwei Nachwuchsschläger ihre Portiersmäntel aus und legten sie hinten auf den Boden. Ihre eigene Kleidung bestand aus aufeinander
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