Mit der Zeit
steckte die Kränkung mit einem weiteren Achselzucken weg. »Oh, von der Polizei haben wir nichts zu befürchten. Unser Feind ist viel gefährlicher.«
»Und wer ist dieser Feind? Die PLO, die Roten Brigaden, die PFLP? Wer denn?«
»Wenn Sie das wissen müssen, wird Dr. Luccio Sie informieren.« Sie gab in ihrer Privatsprache einen knappen Befehl, und der Fahrer schaltete die Deckenbeleuchtung aus.
Offensichtlich wollte sie damit auch mich ausschalten. Ich machte weiter. »War dieser Feind der Grund, weshalb ich das Hotel nicht durch den Haupteingang verlassen konnte? Würde er – oder würden sie – versucht haben, mich aufzuhalten?«
»Die wissen, daß Sie hier sind und weshalb Sie hier sind. Die wären Ihnen mit Sicherheit gefolgt, ganz gleich, ob ich nun dabeigewesen wäre oder nicht. Das sichere Haus wäre in Gefahr geraten. Dadurch, daß wir sofort im Augenblick Ihrer Ankunft gehandelt haben, ließen wir ihnen keine Zeit zu einer umfassenden und wirkungsvollen Überwachung. Bei allen diskreten oder geheimen Operationen muß grundsätzlich jede Gelegenheit genutzt werden, dem Gegner zuvorzukommen und ihn zu verwirren.« Noch ein Zitat.
»Ist schriftstellerische Arbeit in Italien eine geheime Operation?«
»Die Arbeit an Dr. Luccios Buch wird von strengsten Sicherheitsmaßnahmen begleitet sein, Mr. Halliday. Hat Ihnen das Pacioli nicht klargemacht?«
»Er erklärte, daß Sie, Miss Chihani, als Bevollmächtigte die Befehle in Sachen Sicherheit erteilen würden, doch ich sagte allerdings nicht, daß ich mich daran halten werde. Und Sie haben mir bis jetzt noch nicht den geringsten Grund genannt, weshalb Sie bei mir körperliche Gewalt anwenden mußten. Wenn Sie meine Mitarbeit brauchten, hätten Sie das doch einfach sagen und mich darum bitten können.«
»Erklärungen wären nötig gewesen.«
»Wird denn nicht genau das von Bevollmächtigten erwartet? Daß Sie vermitteln und erklären? Wenn Sie mich nett darum gebeten hätten, wäre ich mit Ihnen im Lastenaufzug nach unten gefahren. Warum haben Sie mich denn nicht gebeten? Weil Sie lieber mit Gewalt vorgehen? Weil Ihnen das Spaß macht?«
»Sie beantworten Ihre eigenen Fragen, Mr. Halliday«, erwiderte sie ruhig. »Wenn ich Sie darum gebeten hätte, hätten Sie Einwände gemacht und Erklärungen verlangt. Sie hätten im Grunde genommen das getan, was Sie jetzt auch tun. Im Hotel hatte ich keine Zeit für Ihre Spielchen, doch jetzt ist es ohne Bedeutung, was Sie tun oder sagen. Die Operation verläuft nach Plan.«
»Nach Ihrem Plan?«
»Ja, aber ich befolge nur Dr. Luccios Anweisungen. Die Anweisungen sind, Sie zu dem sicheren Haus zu bringen, ohne dessen Sicherheit zu gefährden. Später, wenn Dr. Luccio mit Ihnen gesprochen hat und weiß, wie Sie auf Belastungen reagieren und wie es mit Ihrer Zuverlässigkeit aussieht, können bequemere Sicherheitsmaßnahmen erwogen werden.«
Wir steckten in dichtem Verkehr, und es ging nur noch stockend voran. Wieder fuhr der Bus ruckartig an und jagte mir einen Schmerz durch die Schulter.
Ich sagte: »Angenommen, ich sage, daß mir die Belastungen für heute reichen und daß ich, falls man mich nicht sofort in mein Hotel zurückbringt, erwägen werde, den Vertrag über meine Mitarbeit an Dr. Luccios Buch für null und nichtig zu erklären? Wie steht es dann mit Ihren Anweisungen, Miss Chihani?«
Sie hatte sich gerade eine Zigarette in den Mund gesteckt und war im Begriff, sie mit einem Feuerzeug anzuzünden. Um mich in den vollen Genuß ihrer Gedanken und Gefühle bezüglich meiner Person kommen zu lassen, antwortete sie erst, nachdem sie die Zigarette aus dem Mund genommen und das Feuerzeug wieder gesenkt hatte. »Ich würde mehrere Punkte nennen, Mr. Halliday. Erstens, daß Sie bereits eine Menge Geld kassiert haben, ohne bisher irgend etwas dafür geleistet zu haben. Zweitens, daß Dr. Luccio Sie heute abend zu sehen wünscht und nicht enttäuscht werden darf. Drittens, daß Sie ein erfahrener Mann sind und bestimmt wissen, daß mit großmäuligen Drohungen nichts zu erreichen ist. Sie werden sich selbstverständlich mit der Situation abfinden.«
Mir fiel auf, daß sie mich nun schon zum zweitenmal einen erfahrenen Mann nannte. Einen Moment lang erwog ich, sie zu fragen, was sie damit gemeint habe, aber mittlerweile paffte sie ihre Zigarette und war offensichtlich entschlossen, nichts mehr zu sagen.
Eins wußte ich jedenfalls aus Erfahrung: Schätzungen über die verstrichene Zeit und die zurückgelegte
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