Mit dir an meiner Seite
dreißig, die graue Flanellhosen trug und gern die Fingerspitzen gegeneinanderpresste. Dabei war Steve aufgefallen, dass sie keinen Ehering trug.
Er fühlte sich nicht wohl. Die Beratung war Kims Idee, und sie war schon allein hier gewesen. Es war ihre erste gemeinsame Sitzung, und gleich am Anfang hatte Kim der Paartherapeutin erklärt, dass Steve seine Gefühle in sich hineinfresse, aber das sei nicht seine Schuld - seine Eltern seien beide sehr verschlossen gewesen. In seiner Familie habe man nicht über Probleme gesprochen. Die Musik habe er als eine Art Fluchtmöglichkeit gewählt, fügte sie noch hinzu, und erst durch das Klavierspielen habe er gelernt, überhaupt Gefühle zu entwickeln.
»Stimmt das?«, fragte die Therapeutin.
»Meine Eltern waren gute Menschen«, murmelte Steve.
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Ich weiß nicht, was Sie von mir hören wollen.«
Die Therapeutin seufzte. »Okay, wie wär's denn damit - wir wissen alle, was vorgefallen ist und warum Sie hier sind. Ich glaube, Kim möchte, dass Sie ihr sagen, was Sie empfinden.«
Steve dachte nach. Am liebsten hätte er gesagt, dass dieses ganze Gerede über Gefühle völlig überflüssig sei: Emotionen kommen und gehen, man kann sie nicht kontrollieren, also gibt es keinen Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Letztlich sollte man die Menschen nach ihren Taten beurteilen, denn am Ende des Tages sind es die Taten, die den Menschen ausmachen.
Aber das sagte er nicht. Stattdessen faltete er die Hände. »Sie möchten wissen, wie ich mich fühle.«
»Ja, aber sprechen Sie nicht mich an.« Sie deutete auf seine Frau. »Wenden Sie sich an Kim.«
Er schaute Kim an. Ganz deutlich spürte er ihre Erwartungshaltung.
»Ich ...«
Er saß in einem Sprechzimmer mit seiner Frau und einer Fremden und führte eine Art von Gespräch, wie er es sich früher nie hätte vorstellen können. Es war kurz nach zehn Uhr am Morgen, und er war erst seit ein paar Tagen wieder in New York. Seine Konzerttournee hatte ihn in gut zwanzig verschiedene Städte geführt, während Kim als Rechtsassistentin in einer Anwaltskanzlei in der Wall Street arbeitete.
»Ich ...«
Um ein Uhr in der Nacht trat Steve hinaus auf die hintere Veranda. Es war nicht mehr so dunkel wie vorher, der Mond verbreitete sein mildes Licht, sodass man den Strand gut sehen konnte. Es war jetzt sechzehn Stunden her, dass sich Ronnie verabschiedet hatte. Steve machte sich Sorgen, ängstigte sich aber noch nicht. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich darauf zu verlassen, dass seine Tochter klug und vorsichtig genug war, um auf sich aufzupassen.
Naja - ein bisschen ängstigte er sich vielleicht doch.
Und obwohl er es nicht wollte, fragte er sich, ob sie morgen wieder verschwinden würde, so wie heute. Und ob es jeden Tag so weitergehen würde, den ganzen Sommer.
Bei Jonah kam es ihm vor, als hätte er einen wunderbaren Schatz entdeckt. Jonah war gern mit ihm zusammen.
Unruhig ging er wieder zurück ins Haus.
Als er sich an den Flügel setzte, war es wieder da, dieses Gefühl, das er bei der Paartherapeutin auf der Couch beschrieben hatte.
Er fühlte sich leer.
Kapitel 10
Ronnie
Eine Weile lang hatte eine größere Gruppe von Leuten am Bower's Point zusammengesessen, aber nach und nach hatten sie sich verabschiedet, einer nach dem anderen, bis nur noch die fünf Üblichen zurückblieben. Ein paar der anderen waren ganz nett gewesen, zwei oder drei sogar richtig interessant, aber dann hatte der Alkohol angefangen, seine Wirkung zu tun, und außer Ronnie hatten sich alle viel witziger gefunden, als sie es tatsächlich waren. Und jetzt war die Situation sowieso langweilig und vorhersagbar.
Ronnie stand allein am Wasserrand. Hinter ihr saßen Teddy und Lance am Feuer, rauchten, tranken und warfen sich hin und wieder einen Feuerball zu. Blaze konnte nur noch lallen und klammerte sich an Marcus. Es war schon spät. Nicht nach New Yorker Maßstäben - aber wenn sie daran dachte, wann sie heute Morgen aufgestanden war, fiel ihr auf, dass es ein sehr langer Tag gewesen war. Sie wurde allmählich müde.
Morgen früh wollte sie ausschlafen. Wenn sie nach Hause kam, musste sie gleich ein paar Handtücher oder ein Laken über die Vorhangstange hängen. Zur Not konnte sie das Laken ja auch mit Nägeln an der Wand befestigen! Sie hatte keine Lust, in den Ferien jeden Tag mit den Bauern aufzustehen, selbst wenn sie morgen den ganzen Tag mit Blaze am Strand verbringen würde.
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