Mit dir an meiner Seite
später machte er es abermals neu. Jeden Samstagabend warf er sich in Schale, zog Jackett und Krawatte an und führte seine Frau zum Abendessen aus. Die Sonntage brauchte er für sich selbst. Nach der Kirche pusselte er in seiner Werkstatt herum, während seine Frau in der Küche Kuchen buk oder Gemüse einmachte.
Am Montag begann dann wieder die Alltagsroutine.
Sein Vater brachte Steve die Spielregeln nie bei. Aber Steve war clever genug, um die Grundzüge selbst zu lernen, und er bildete sich ein, dass er gut genug beobachten konnte, um zu merken, wenn jemand bluffte. Er spielte ein paarmal mit Kommilitonen vom College und fand heraus, dass er höchstens guter Durchschnitt war - weder schlechter noch besser als die anderen. Im Anschluss an sein Examen zog er nach New York und fuhr nur selten nach Hause, um seine Eltern zu besuchen. Das erste Mal hatte er sie zwei Jahre lang nicht gesehen, und als er zur Tür hereinkam, umarmte seine Mutter ihn herzlich und küsste ihn auf die Wange. Sein Vater gab ihm die Hand und brummte: »Deine Mutter hat dich vermisst.« Es gab Apfelkuchen und Kaffee. Danach erhob sich sein Vater und griff nach seinem Jackett und den Autoschlüsseln. Es war Dienstag, was bedeutete, dass er in die Elks-Loge ging. Das Spiel ging bis zehn Uhr, und eine Viertelstunde später würde er nach Hause kommen.
»Nein ... nicht heute Abend«, flehte seine Mom. Ihr osteuropäischer Akzent war noch so deutlich zu hören wie früher. »Steve ist doch gerade erst nach Hause gekommen.«
Steve fiel damals auf, dass er noch nie gehört hatte, wie seine Mutter seinen Vater bat, nicht in die Loge zu gehen. Deshalb erinnerte er sich so genau an die Situation. Aber ob sein Vater sich über Moms Verhalten wunderte, konnte man ihm nicht anmerken. Er drehte sich in der Tür um, mit undurchdringlicher Miene.
»Oder nimm ihn mit«, fuhr seine Mutter fort.
Sein Dad legte die Jacke über den Arm. »Willst du mitkommen?«
»Ja, klar.« Steve trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Warum nicht? Das macht sicher Spaß.«
Nach einer kurzen Pause zuckten die Mundwinkel seines Vaters ein wenig, und seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. Hätte er am Pokertisch gesessen, hätte er bestimmt nicht so viel preisgegeben, davon war Steve überzeugt.
»Du lügst«, sagte er.
Ein paar Jahre später starb Steves Mutter ganz plötzlich. In ihrem Gehirn platzte eine Ader. Steve dachte oft an ihre unermüdliche Freundlichkeit, auch später, während er bei seinem Vater im Krankenhaus saß. Dad war gerade mit einem leisen Keuchen aufgewacht und drehte den Kopf zu Steve um. Durch die dunklen Schatten auf dem kantigen Gesicht wurde man an einen Totenschädel erinnert.
»Du bist noch da.«
Steve legte seine Partitur beiseite und zog den Stuhl näher zum Bett. »Ja, ich bin noch da.« »Warum?«
»Wieso fragst du? Weil du im Krankenhaus bist.«
»Ich bin im Krankenhaus, weil ich sterbe. Und ich sterbe, egal, ob du hier bist oder nicht. Geh lieber nach Hause. Du hast eine Frau und zwei Kinder. Für mich kannst du nichts mehr tun.«
»Aber ich bin gern hier«, erwiderte Steve. »Du bist mein Vater. Oder möchtest du mich nicht hier haben?«
»Vielleicht will ich nicht, dass du mich sterben siehst.«
»Ich gehe, wenn du es sagst.«
Sein Vater gab ein Geräusch von sich, das wie ein verächtliches Schnauben klang. »Genau das ist dein Problem. Du willst, dass ich die Entscheidung für dich treffe. Das war bei dir schon immer so.«
»Vielleicht möchte ich einfach bei dir sein.«
»Willst du das? Oder will es deine Frau?«
»Spielt das eine Rolle?«
Sein Dad versuchte zu lächeln, brachte aber nur eine Grimasse zustande. »Keine Ahnung. Spielt es eine Rolle?«
Von seinem Platz am Klavier hörte Steve, dass sich ein Auto näherte. Das Scheinwerferlicht schien durch das Fenster und huschte über die Wände, und einen Moment lang dachte er, dass Ronnie vielleicht jemanden gefunden hatte, der sie mit dem Wagen nach Hause brachte. Doch das Motorengeräusch entfernte sich wieder. Und weit und breit keine Ronnie.
Es war schon nach Mitternacht. Sollte er sie suchen gehen?
Vor ein paar Jahren, in der Zeit, bevor Ronnie aufgehört hatte, mit ihm zu reden, waren er und Kim zur Eheberatung gegangen. Die Praxis befand sich in einem Büro nicht weit von Gramercy Park, in einem frisch renovierten Gebäude. Steve erinnerte sich gut daran, wie er neben Kim auf der Couch saß, ihnen gegenüber eine schmale Frau Mitte
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