Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Finn! Das war nicht so gemeint.«
Er knuddelt mich: »Passt schon, Papi! Gell, manchmal ist man böse und meint es gar nicht so.«
Er gibt mir einen Kuss auf die Nase – und schläft zehn Sekunden später ein.
Wer nicht gerade Schriftsteller ist, der wird ein weißes Blatt Papier für eine tolle Sache halten. Autoren haben damit ein Problem, zumindest wird ihnen eingeredet, dass sie damit ein Problem haben sollten und dass ein Blatt Papier, das nicht sofort gefüllt ist, der Beginn einer handfesten Schreibblockade ist. Kein Mensch käme auf die Idee, bei einer leeren PowerPoint-Präsentation von einer Unternehmensberaterblockade zu sprechen – das nennt man in diesem Beruf »Montagmorgen«. Es gibt auch keine Ingenieursblockade oder Juristenblockade oder Fließbandblockade. Es gibt das Burn-out-Syndrom, über das der Komiker Jay Leno sagte: »Burn-out ist eine Krankheit für reiche Leute. Mein Vater war Arbeiter in einem Kohlenschacht – wenn der von Burnout gesprochen hätte, dann hätte sein Vorarbeiter gesagt: ›Schön für dich, jetzt beweg deinen Arsch runter in die Mine!‹« Aber so eine Schreibblockade, die muss ein Schriftsteller mindestens ein Mal im Leben gehabt haben, sonst verweigert ihm der Verband Deutscher Schriftsteller die Zugehörigkeit.
Ein weißes Blatt ist eines der schönsten Dinge auf der Welt. Wer eines überreicht bekommt, der kann es gestalten, er darf bestimmen, wie dieses Blatt am Ende aussehen soll, er kann komplett von vorne beginnen. Es gibt keine Grenzen, keine Vorschriften, keine Regeln. Er kann es sogar auf den Balkon legen und sehen, ob sich zufällig was ergibt.
(Un-)Wichtiges Wissen
Wer sein Kind schlägt, der hat
nicht nur wenig Ahnung von Er-
ziehung, sondern bricht auch das
Gesetz. Das elterliche Züchti-
gungsrecht wurde im Jahr 2000
endgültig abgeschafft. Dem-
nach sind auch Einsperren und
schmerzhaftes Zupacken und
Äußerungen, die das Kind verlet-
zen, verboten. (§ 1631 BGB)
Was würdest du mit einem weißen Blatt Papier machen?
Ich habe vor mehr als drei Jahren so ein weißes Blatt Papier bekommen, als mein Sohn Finnegan James zur Welt kam. Er war dieser kleine, verschrumpelte Blob, der erst einmal nichts kann außer essen und schlafen und schreien und der darauf vertrauen muss, dass er Eltern hat, die ihm zu essen geben, ihn schlafen lassen und reagieren, wenn er schreit. Aus diesem kleinen Etwas, das so unglaublich gut riecht, wird irgendwann ein kleiner Bub – und der muss darauf vertrauen, dass er Eltern hat, die ihn zu einem anständigen Lebewesen erziehen. Und nicht zu einem – ach, seien wir ehrlich – Arschloch.
Doch was für ein Mensch er wird, das ist die Verantwortung der Eltern. Er hat von seinen Eltern genetische Vorteile (Aussehen und Freundlichkeit seiner Mutter) und Nachteile (große Zehe des Vaters) bekommen, ansonsten aber keine Ahnung vom Leben und der Welt.
Die meisten Menschen erkennen nicht, dass dies die wohl größte Chance ihres Lebens darstellt. Der Mensch ist ein weißes Blatt – und bevor er selbst den Pinsel in die Hand nehmen durfte, haben schon eine ganze Menge Leute darin herumgekritzelt. Irgendwann darf er dann auch mal selbst malen, dann ist er erwachsen und bestimmt selbst – doch bis dahin muss er darauf vertrauen, dass seine Eltern schöne Sachen anbringen.
Mein lieber Sohn, du bist ein weißes Blatt, und du wirst bemalt in jeder Minute, die vergeht.
In diesen ersten Jahren ist die Erziehung eines Kindes einer diktatorischen Staatsform nicht so ganz unähnlich. Mutter und Vater sind Legislative, Exekutive und Jurisdiktion für ihr Kind. Natürlich kann sich das schnell ändern, weswegen es Bücher wie Warum unsere Kinder Tyrannen werden. Oder: Die Abschaffung der Kindheit von Michael Winterhoff oder Die Mutter des Erfolgs: Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte von Amy Chua oder Lasst eure Kinder in Ruhe! Gegen den Förderwahn in der Erziehung von Wolfgang Bergmann gibt.
Als unser Sohn geboren wurde, da war ich der Meinung, dass sein Leben sein sollte wie eine riesige Wiese. Er soll sich frei darauf bewegen dürfen – und wir Eltern greifen nur dann ein, wenn er in Gefahr zu geraten oder sich zu verirren droht. Dann würden wir ihn gefühlvoll anstoßen und ihm vor allem erklären, warum wir ihn gerade schubsen. Ansonsten würden wir einfach nur neben ihm herlaufen und mit ihm Spaß haben. So viele Gesetze und Vorschriften wie nötig, so wenige Verbote wie möglich.
Meine Frau ist Asiatin, weshalb sie
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