Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
man die genaue Anschrift angeben, die Anzahl der Ballons und die Kontaktdaten. Außerdem sollte man nicht nur das Datum nennen, sondern auch eine Einschätzung, wie lange der Aufstieg dauern wird.
Deutschland ist das Land der Umschweife.
Aber es gibt doch noch Dinge, die ohne Genehmigung möglich sind. Wichtige Dinge sogar.
Das wird dem bewusst, der hin und wieder einen Spielplatz besucht.
Montagnachmittag, ein Abenteuerspielplatz im Münchner Osten: Eine Gruppe Frauen versucht, sich vor ihren Kindern zu verstecken. Das ist gar nicht so einfach, denn würden sich diese Frauen nebeneinanderstellen, könnte man sie durchaus mit einem Gebirge verwechseln. Meine Oma sagte immer, dass man sich mit dickeren Menschen umgeben muss, um selbst für dünner gehalten zu werden. Diese Frauen haben von ihren Großmüttern offensichtlich den gleichen Rat bekommen und eine Gruppe gegründet, in der jede von ihnen ein bisschen dünner sein darf.
Jede der Frauen hat mindestens ein Kind dabei – und die Frauen versuchen nun, ihre Kinder zum Spielen zu bewegen. Sie machen es freundlich (»Freu dich doch, dass wir ein Mal im Monat draußen sind«), verführerisch (»Die Rutsche ist nicht gefährlich«) oder bestimmt (»Jetzt hau endlich ab!«). Eine schubst ihr Kind einfach weg.
Mir erschließt sich der Grund nicht ganz, weil ich eigentlich der Meinung bin, dass es Spaß macht, gemeinsam mit Kindern zu spielen. Die Frauen sind offensichtlich anderer Meinung. Sie gestikulieren, sie schimpfen – 43 Flüche innerhalb von zwei Minuten. Irgendwann sagt eine: »Das ist mir jetzt scheißegal, ich will jetzt eine rauchen.«
Sie zündet sich eine Zigarette an und pustet den Rauch in die Richtung ihres Kindes. Das Mädchen guckt angeekelt und geht auf die Rutsche zu.
»Geht doch«, sagt die Mutter und fasst in die Tasche des Kinderwagens. Sie zieht einen Flachmann heraus, öffnet ihn und setzt an. Dann blickt sie enttäuscht und sagt: »So eine Scheiße!« Sie steckt den Flachmann zurück in die Tasche – und holt einen zweiten Flachmann heraus, öffnet ihn und nimmt einen kräftigen Schluck: »Aaaaaaaaaaaaaah.«
Es gibt tatsächlich Menschen, die zwei Flachmänner besitzen.
Sie reicht ihn weiter, alle trinken. Dann zünden sich sieben Frauen eine Zigarette an. Drei lächeln, vier motzen ihre Kinder mit unflätigen Begriffen an.
Man braucht in Deutschland sieben Jahre und vier Genehmigungen, um die Spree sauberer machen zu dürfen. Man muss zwei Wochen zuvor beim zuständigen Amt ein Formular einreichen, um ein paar Luftballons steigen lassen zu dürfen. Man braucht einen Meisterbrief, um einen Handwerksbetrieb eröffnen zu dürfen.
Nur für die wichtigste Sache im Leben braucht man keine Genehmigung: Ein Kind bekommen, das darf in Deutschland wirklich jeder.
Kapitel 31
Die Chance deines Lebens
»Finn! Hör endlich auf! Ich dreh gleich durch! Wenn du nicht aufhörst, dann stelle ich dich vor die Wohnungstür, ich geh nicht mit dir zu den Basketballern, und ich werf dein Trikot weg. Du machst mich wahnsinnig!«
Ich erschrecke über mich selbst, als ich höre, was ich da gerade zu meinem Sohn gesagt habe. Der liegt in seinem Bett und weint, weil er seit mehr als einer Stunde nicht einschlafen will und jede Gelegenheit nutzt, den Moment des Einschlummerns hinauszuzögern. Wir waren Zähneputzen (drei Mal) und auf der Toilette (ein Mal groß, zwei Mal klein), wir haben drei Mal die Klamotten gewechselt (von kuschelig zu sportlich zu gemütlich), ich habe zwei Geschichten vorgelesen und eine erzählt, ich habe vier Lieder gesungen (eins richtig, drei falsch). Mit dem Satz »Papi, ich kann nicht einschlafen, mir ist sooooo langweilig« hat Finn den dünnen Faden in meinem Gehirn endgültig durchschnitten.
Ich bin mittlerweile in der vierten Stufe des Elternseins angelangt. Stufe eins: Sorge dafür, dass dieses süße kleine Ding am Leben bleibt! Stufe zwei: Sorge dafür, dass dieses süße kleine Ding weiter wächst und gedeiht! Stufe drei: Sorge dafür, dass dieses süße kleine Ding gesund bleibt! Stufe vier: Sorge dafür, dass dieser kleine Bastard ruhig bleibt und du selbst nicht durchdrehst! Ich habe meinen Sohn angeschrien und ihm gedroht. Ich habe sogar die Spielzeug-Wegwerf-Karte ausgespielt. In meiner Statistik für die Wahl zum »Papa des Jahres 2012« wird sich das nicht gut machen – und auf dem weißen Blatt, das mein Sohn ist, habe ich einen hässlichen Klecks hinterlassen.
Ich kann mich nur entschuldigen: »Sorry,
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