Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
angegeben hast – genauso wie das iPhone, die Armani- und Boss-Klamotten, die du damals in New York gekauft hast. Und ich frage mich ja immer noch, wie du die Vitamintabletten, die da auf dem Tisch stehen, nach Deutschland gebracht hast, wo doch die Einfuhr streng verboten ist. Und die 40 Stangen Zigaretten aus Tschechien?«
Gesichtsfarbe: Châteauneuf-du-Pape.
»Darf man eigentlich ein Polohemd tragen, auf dem das Lacoste-Zeichen eingenäht ist, obwohl dir das ein Freund aus Südostasien mitgebracht hat? Nicht, oder?«
Gesichtsfarbe: zwischen Rotwein und Sonnenuntergang schwankend.
»Das sind doch alles keine Verbrechen!«
Das eigene Verbrechen ist kein Verbrechen.
»Wie würdest du es dann nennen? Offiziell illegale, für mich selbst aber vollkommen vertretbare und deshalb nach meiner ganz persönlichen Einschätzung legale Handlungen?«
»Quatsch! Aber du kannst doch meine Steuererklärung und die paar T-Shirts nicht als Verbrechen hinstellen! Dann wäre ja jeder Mensch in Deutschland ein Verbrecher!«
»Darauf will ich hinaus!«
»Ich drehe gleich durch! Schmieder, du bist so ein verrückter Arsch!«
»Schon wieder eine Beleidigung! Lass uns mal losfahren in deine Arbeit!«
Ich zähle eine Woche lang seine Untaten im Straßenverkehr, bei denen er nur das Glück hat, nicht erwischt zu werden. Die Auflistung nach sieben Tagen:
Geschwindigkeitsübertretungen: 135 Mal
Falschparken: 4 Mal
Nicht geblinkt: 18 Mal
Rote Ampeln überfahren: 1 Mal
Andere Verkehrsteilnehmer beleidigt: 3 Mal
Weil ich gnädig bin, rechne ich nur eine Geschwindigkeitsübertretung pro Tag, und auch das Nichtblinken runde ich auf ein Vergehen täglich ab. Insgesamt müsste er, wäre er jedes Mal erwischt worden, für diese Woche mehr als 700 Euro Strafe bezahlen und seinen Führerschein für etwa sechs Monate abgeben. Auf das Jahr hochgerechnet wären das 36400 Euro und sieben Jahre Führerscheinentzug.
Dazu kommen die kleineren Vergehen: Zigarettenkippen wegwerfen, Müll nicht korrekt trennen, das nicht ordnungsgemäße Bereitstellen von Sammelgut zur Abholung, Lärmen in der Öffentlichkeit, übermäßiges Konsumieren von Alkohol auf Grünflächen und ähnliche Leckereien der Ordnungswidrigkeiten. Auch wenn sich mein Freund als braver Bürger gibt, errechne ich – vor allem aufgrund der weggeworfenen Kippen – ein Wochenbußgeld von 575 Euro.
Im Laufe der Woche kündigt er mir 20 Mal die Freundschaft, wird aber mit jedem Tag vorsichtiger und gesetzestreuer. Am letzten Tag ist er fast ein Engel. Zählt man alles zusammen, käme man im Jahr 2012 auf ein Bußgeld von insgesamt 321835,92 Euro.
Pro Woche sind das 6189,15 Euro.
Polizist und Steuerberater erschrecken kurz, als sie von der Summe hören, doch dann sagen beide: »Wenn man alles zusammenzählt, dann kann das schon stimmen. Wir sind ja alle mit einem Bein im Knast, ohne es zu wissen.« Der Anwalt sagt: »Ich hätte vermutet, dass es noch höher liegt – aber die Zahl ist in Ordnung.« Und der Finanzbeamte: »Deutschland hat tatsächlich noch Schulden? Die sollten nur besser kontrollieren, und alles wäre in Ordnung!« Der Richter: »Es ist ein Krieg, der da stattfindet. Die meisten haben nur Glück, dass sie rechtzeitig ausweichen und nicht getroffen werden.«
Nun mag der eine oder andere Leser vermuten, dass es sich bei meinem Kumpel um ein besonders verdorbenes Exemplar der Spezies Mensch handelt, doch ich kann Ihnen versichern: Das ist er nicht! Er bezahlt sogar den verabredeten Wetteinsatz: ein Hundertstel der Strafen dieser Woche. Das sind 61,89 Euro, er überweist noch am selben Tag.
Vielleicht macht mancher Leser nicht die Dinge, die mein Freund angestellt hat. Dafür sind es andere Vergehen, die mein Freund nicht begangen hat. Vielleicht sind es auch keine 321835,92, aber bei 0 Euro landet keiner von uns. Ich bin sicher, dass bei einigen mehr als eine Million Euro herauskommt.
Schlimmer als die Strafe, die er bezahlen müsste, finde ich allerdings: Er hat damit jemandem geschadet.
Wer bezahlt das alles?
Wir alle – in der einen oder anderen Form.
Wir alle sind Verbrecher, doch für mich ist nun Schluss damit.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mein Projekt, bei einer Summe von 0 Euro zu landen, ein recht aussichtsloses Unterfangen sein könnte.
Kapitel 5
Liebe Ehefrau, ich zeige dich an!
Ich bin genervt. Nein, das stimmt nicht. Genervt sind Menschen, denen der Lieferservice eine kalte Pizza bringt. Ich bin nicht genervt. Ich bin schockiert und
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