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Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Titel: Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schmieder
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gewährleisten möchte, sondern auch, weil es ein ökonomisches Ungleichgewicht bei den Entscheidungen von Täter und Opfer gibt. Der Täter zieht bei seiner rationalen Entscheidung nur seine eigene Situation in Betracht und nicht die des Opfers. Bei einem Einbruch etwa interessiert den Gauner zunächst einmal die Beute. Wenn er dabei ein Fenster zerschlägt, einen Safe beschädigt oder eine Vase hinunterwirft, muss er das in seiner Formel nicht berücksichtigen. Das Opfer verliert jedoch nicht nur die gestohlenen Dinge, sondern muss auch Fenster, Safe oder Vase bezahlen.
    (Un-)Wichtiges Wissen
    Der Anteil an Bus- und Bahnfah-
rern ohne gültigen Fahrausweis
wird auf etwa 3,5 Prozent ge-
schätzt. Den Verkehrsunterneh-
men entgehen dadurch etwa
250 Millionen Euro pro Jahr.
    Die Strafe muss also so festgelegt werden, dass die erwischten Täter sämtliche Kosten bezahlen. In meinem Fall des Schwarzfahrens bedeutet das: Ich habe pro Jahr einen Schaden von 82,80 Euro verursacht. In München gibt es geschätzte 100000 Schwarzfahrer, der Gesamtschaden beläuft sich auf 8,28 Millionen Euro pro Jahr.
    Der Münchner Verkehrsverbund ( MVV ) muss Geld für Kontrolleure und Kameras ausgeben, um blinde Passagiere zu erwischen – gäbe es keine Schwarzfahrer, müsste auch niemand kontrollieren. Experten schätzen diesen Betrag auf 4,7 Millionen Euro im Jahr, also liegen die wahren Kosten des Schwarzfahrens bei 13 Millionen Euro.
    Ich wende nun meine eigene Kontrollquote von 0,1875 Prozent an. Demnach sind die Kontrolleure pro Jahr 300000 Mal erfolgreich. Teilt man durch diese Zahl die Kosten von 13 Millionen Euro, erhält man eine Strafe von 43,33 Euro, um die Kosten zu decken – was der tatsächlichen Strafe fürs Schwarzfahren ziemlich nahe kommt.
    Der »Markt für Verbrechen« verhält sich also analog zu einem normalen Gütermarkt. Auf dem Verbrechensmarkt entscheiden die potenziellen Täter anhand von Nutzen und Kosten ihrer illegalen Tätigkeit darüber, wie häufig sie Straftaten begehen – und die möglichen Opfer bezahlen den Preis dafür in Form der entstandenen Schäden und der Schutzvorkehrungen. Das Gehalt für Polizisten und Richter, auch die Kosten für Zeugen, Polizeiautos und Gerichtsgebäude werden von uns allen in Form von Steuern bezahlt. Eine Alarmanlage schützt nur ein einzelnes Haus, eine Polizeistreife, die permanent in einem Stadtviertel patrouilliert, kann Einbrecher davon abschrecken, dieses Viertel überhaupt aufzusuchen.
    Natürlich würden wir alle gerne in einer Welt ohne illegale Handlungen leben: Niemand hinterzieht Steuern, niemand stiehlt, niemand fährt schwarz. Was für eine schöne Utopie!
    In diesem ökonomischen Modell freilich ließe sich das scheinbar leicht erreichen: Man erhöht die Anzahl der Kontrollen derart, dass es sich nicht mehr lohnt, als blinder Passagier unterwegs zu sein. Es würde nicht lange dauern, und es gäbe keine Schwarzfahrer mehr. Das ist die einfache Formel, die Politiker gerne anwenden, wenn ihnen nichts Besseres einfällt.
    Diese Kontrollen kosten Geld, sehr viel Geld sogar. Die zusätzlichen Kosten freilich werden auf die Passagiere abgewälzt – und es ist durchaus wahrscheinlich, dass eine Fahrkarte in Utopia deshalb teurer ist als der Preis für ein Ticket in einer Welt mit einigen Schwarzfahrern.
    Wissen für Nichtjuristen
    Auch bekennende Schwarzfahrer
werden bestraft – durch das
Tragen eines T-Shirts mit der
Aufschrift »Ich fahre schwarz«
erhält man nicht automatisch die
Erlaubnis des Fahrers. (AG Han-
nover, AZ 223 Cs 549/09)
    Eine weitere Möglichkeit wäre es freilich, die Strafen drastisch zu erhöhen, um böse Buben abzuschrecken. Ein Schwarzfahrer, der 2000 Euro bezahlen müsste, dürfte es sich mehr als zwei Mal überlegen, ob er sich nicht doch lieber ein Ticket kauft. Eine Erhöhung der Strafe klingt zunächst plausibel – doch verletzt sie am Ende unser Verständnis von Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit. Wenn ein Mensch seinen Geldbeutel vergisst, in dem sich die Monatskarte befindet, dann erscheint eine Strafe von 2000 Euro doch ein wenig zu hoch.
    Eine Erhöhung der Strafe könnte freilich auch dazu führen, dass eine Straftat eine weitere Straftat nach sich zieht. Wenn ein Schwarzfahrer 2000 Euro bezahlen müsste, dann könnte er es als durchaus lohnenswert ansehen, den Kontrolleur zu verprügeln und sich aus dem Staub zu machen, um der hohen Strafe zu entkommen.
    Ich habe den Eindruck, dass Politiker gerne in Utopia leben und

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