Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
versuchen. Warum denn auch nicht?
Die erste Gelegenheit bietet sich mir, als auf dem Weg zu meiner Arbeitsstelle die Straße aufgerissen wird, als ginge es darum, die Versorgungslinie zwischen Berg am Laim und Steinhausen abzuschneiden. Mir ist bewusst, dass es Baustellen geben muss – jedoch hat sich das Münchner Baureferat in diesem Fall einen Schildbürgerstreich geleistet, der kaum zu überbieten ist. Er lässt sich am besten durch drei kleine Grafiken verdeutlichen:
Normale Route
Route aufgrund der ersten Umleitung
Route aufgrund der zweiten Umleitung
Ich brauche gewöhnlich für die 1,3 Kilometer zur Arbeit zu Fuß etwa zwölf und mit dem Auto rund fünf Minuten. Aufgrund der Baustelle gab es zunächst eine Umleitung, die 2,5 Kilometer lang war. Nach einigen Tagen allerdings – ich vermute, nach wütenden Anrufen von Anwohnern, die sich gestört fühlten durch die Autos, die da durch ihr Naherholungsgebiet fuhren – wurde die eine Straße gesperrt, die aufgrund der Umleitung stärker frequentiert war. Und tatsächlich lauerten immer wieder Polizisten hinter der Holzhütte für Spargel und Schnittblumen, um Nichtanwohner, die mit dem Auto oder dem Fahrrad die Straße benutzen wollten, zu ermahnen und ihnen ein Bußgeld zu verpassen.
Jedenfalls hat das Baureferat die Umleitung erweitert, auf für mich 4,1 Kilometer. Ich habe gerechnet, welche Auswirkungen die absolut sinnfreie Erweiterung der Umleitung für mich hat: Der Hinweg bleibt unverändert, weil die Umleitung nur den Rückweg betrifft. Da die Baustelle von April bis Ende Oktober existiert, bin ich davon – zähle ich alle beruflich und familiär bedingten Fahrten (Abholen meines Sohnes aus dem Kindergarten) und Spaziergänge zusammen – an insgesamt 143 Tagen betroffen. Hin und wieder gehen wir zu Fuß zum Kindergarten, bei schlechtem Wetter nehmen wir das Auto oder den Bus – die Kilometerzahl bleibt gleich, beim Zeitverlust habe ich den Durchschnitt gewählt.
Ich muss 228,8 Kilometer mehr fahren oder gehen und brauche ungefähr 1400 Minuten länger. Das sind 23 Stunden und 20 Minuten meines Lebens, die mir durch diese unsinnige Umleitung gestohlen werden. Ich möchte dafür bezahlt werden. Dienstreisen werden in meinem Unternehmen mit 0,31 Euro pro Kilometer angesetzt. Daraus errechne ich, dass ich Anspruch auf 70,93 Euro habe. Ich habe zudem gelernt, dass vor Gericht gerne Tagessätze angewandt werden, weshalb ich die fast 24 Stunden einfach auf drei Arbeitstage von jeweils acht Stunden aufteile. Ein Richter erklärt mir, dass mein Tagessatz bei ungefähr 100 Euro liegen sollte, weshalb ich also durchaus 300 Euro für die verlorene Zeit beanspruchen dürfte. Ich bin also der Meinung, dass ich 470,93 Euro in Rechnung stellen kann.
Ich frage natürlich vorher bei Winfried Ismayr nach.
»Sie sind ein böser Mensch! Sie hätten einen prima Anwalt abgegeben. Eine geniale Idee, aber die Erfolgsaussichten sind gering. Grundlagen wären nur Staatshaftungsansprüche, die ohnehin nur schwer durchzusetzen sind, weil der Staat noch bösere Menschen beschäftigt. Zuständig für Umleitungen sind die Straßenverkehrsbehörden, dort werden Umleitungen geplant und so gelegt, wie das für sinnvoll empfunden wird – dabei sind viele Kriterien zur Bewertung möglich. Die Behörde hat also einen sehr weiten Argumentationsspielraum, warum welche Streckenführung sinnvoll ist. Aber sollten Sie erfolgreich sein, dann eröffnet uns das ganz neue Möglichkeiten.«
Uns? Warum uns? Ich will doch nur das Geld haben, das ich ausgegeben habe.
Ismayr fragt: »Können Sie denn beweisen, dass Sie geschädigt wurden? Puh, dann könnten wir bei fast jeder Umleitung Briefe verschicken.«
Ich setze also eine Rechnung auf. Das ist der Wortlaut:
»Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit stelle ich Ihnen die Kosten in Rechnung, die mir durch eine fehlerhafte Umleitung bei der Baustelle in der Baumkirchner Straße in den Monaten April bis Oktober entstanden sind. Die Kosten entstanden direkt durch die unzulässige wie unsinnige Streckenführung der Umleitung, durch die ich an 143 Tagen insgesamt 228,8 Mehrkilometer zu bewältigen hatte, was zu einem Zeitverlust von 23 Stunden und 20 Minuten geführt hat. Deshalb erlaube ich mir, Ihnen folgende Rechnung zu stellen:
Mehrkilometer: 228,8 à 0,31 Cent:
70,93 Euro
Tagessatz für Zeitverlust 3 x 8 Stunden
à 100 Euro:
300,00 Euro
Gesamtbetrag:
370,93 Euro
Ich möchte Sie bitten, den Betrag innerhalb von zwei Wochen auf mein
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