Mit einem Fuß im Himmel
weitergehen!
V
Die Redaktion des Ausblick hatte ihre Räume hoch oben im Pressehaus, und hier saß Till Torsten in seinem guteingerichteten Büro hinter einem mächtigen Schreibtisch, auf dem ein ganzer Stapel Briefe lag und der Beantwortung harrte. Die Briefe waren schon geöffnet und durch die Sekretärin einer kurzen Prüfung unterzogen worden. Sie alle waren an »Tante Hedwig« gerichtet. Till Torsten übte die Funktion der Fragekastentante beim Ausblick aus.
So kann es nicht Wunder nehmen, daß Till Torstens Meinung von der Menschheit nicht die allerbeste war. Was sollte man auch von den Menschen halten, wenn man täglich zahllose Briefe lesen und beantworten muß, in denen sich Frauen, Männer und Kinder über das Dasein, das sie führen müssen, beklagen und sich über ihre Ehegatten, Frauen, Eltern, Freunde und Geliebte beschweren, ohne je auf den Gedanken zu kommen, daß die Schuld an unhaltbaren Zuständen vielleicht bei ihnen selber liegen könnte? Was sollte man von Menschen halten, die es vorziehen, sich an eine völlig unbekannte »Tante Hedwig« zu wenden, anstatt ihren eigenen Verstand zu Rate zu ziehen? Was sollte man von ihnen halten, wenn sie sich wahrhaftig einbilden, daß es dieser »Tante Hedwig« mit wenigen Sätzen gelingen könnte, eine Situation zu klären, die zu schaffen sie selbst viele Jahre gebraucht haben? Und wozu Sollten diese Ratschläge endlich nützen, wenn sie, je vernünftiger sie sind, desto weniger ausgeführt werden?
Till Torsten hatte keine gute Meinung von den Menschen, und das war ihm nicht zu verübeln. Die Menschen präsentierten sich ihm ja auch stets von ihrer fragwürdigsten Seite, er hielt sie alle — fast alle — für töricht.
Wieder war ein Brief beantwortet, der nächste kam an die Reihe, und Till Torsten zog ihn aus dem vor ihm liegenden Stapel in derselben aus Achtlosigkeit und Sorgfalt gemischten Empfindung, in der die meisten Leute versuchen, einen Hauptgewinn aus dem Lotteriekasten zu ziehen. Er hielt den Brief von Liselotte Klaus in der Hand und vertiefte sich in die Lektüre.
Niemals wäre er auf die Idee gekommen, daß dies das Schreiben eines Mädchens war, dem er fast täglich begegnete, bei der er alle seine zarten Blumengrüße für seine Braut bestellte. Er war weit entfernt, jenen Kunden, den sie so anschaulich beschrieb, mit sich selbst zu identifizieren. Wie die meisten Menschen, hatte Till Torsten nicht die leiseste Ahnung davon, wie er in den Augen anderer wirkte, er hielt sich für äußerst aufgeschlossen und liebenswürdig und wäre mehr als verblüfft gewesen, wenn man ihm eröffnet hätte, daß er tatsächlich so auftrete, wie Liselotte es in ihrem Brief sehr treffend darstellte.
Till Torsten studierte Liselottes Brief mit äußerster Sorgfalt — es war sein Ehrgeiz und sein Stolz, seine Arbeiten nie oberflächlich, sondern immer sehr gründlich und bedächtig zu erledigen —, dann gab er ihn mit einem leichten Schaudern seiner Sekretärin weiter.
»Wieder einmal ein heiratswütiges Wesen«, bemerkte er, unangenehm berührt.
Die Sekretärin, eine rundliche, blonde Person, überflog den Brief und sagte dann: »Ach, ich kann das gut verstehen... daß sie sich einsam fühlt und das alles!«
Till Torsten sah seine Sekretärin scharf an. »So? Sie können das verstehen, Fräulein Schmitz?«
Fräulein Schmitz errötete unwillkürlich unter diesem Blick und fühlte sich durchschaut. Tatsächlich war sie fast genauso alt wie Liselotte — ein wenig älter noch, um der Wahrheit die Ehre zu geben —, ebenfalls unverheiratet, und sie hatte oft genug das gleiche Gefühl von Sinnlosigkeit und Leere empfunden, das Liselotte in ihrem Brief auszudrücken versuchte, nur wäre sie nie auf die Idee gekommen, es jemandem mitzuteilen, und so war ihr der Gedanke, daß Till Torsten ihre Empfindungen erraten haben könnte, äußerst unangenehm.
»Ich meine ja nur...«, murmelte sie ausweichend. »Übrigens finde ich, sie sollte doch den Alten nehmen!«
»Wen? Sie meinen doch nicht etwa ihren Chef?!«
»Warum nicht? Er scheint ein einigermaßen zuverlässiger Charakter zu sein und sich ehrlich um sie zu bemühen!«
»Haben Sie denn nicht gelesen, daß er verheiratet ist?«
»O doch, gewiß! Aber die Ehe ist doch sehr unglücklich, wiesie schreibt!«
»Glücklich oder nicht glücklich. Eine Ehe ist in jedem Falle heilig!«
»Aha!« sagte die Sekretärin ziemlich verständnislos. »Sie meinen also, es sei besser, wenn sie diesen Hein Grotius
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