Mit einem Fuß im Himmel
vertauscht, ihre Füße steckten in bequemen roten Pantöffelchen, das allzu blonde Haar war auf Lockenwicklern aufgedreht, die ihr grotesk um den Kopf hingen. So saß sie da und wartete Stunde um Stunde.
Um elf Uhr war sie noch fest entschlossen gewesen, Oskar mit einem offenen Lächeln zu empfangen, so, als sei nicht das geringste geschehen und als hätte es ihr auch nicht das mindeste ausgemacht, daß er sie den ganzen Abend lang ohne jegliche Begründung allein gelassen hatte. Als aber die Glocke vom nahen Kirchturm eins schlug, begann sich Therese ernstlich Sorgen zu machen.
Sie malte sich in schaurigen Bildern aus, was einem einsamen Mann in einer Großstadt wie Düsseldorf alles zugestoßen sein konnte. Sie sah Oskar schon von Straßenräubern überfallen, niedergeschlagen, seiner goldenen Armbanduhr und seiner Barschaft beraubt, hilflos in einer dunklen Gasse liegen. Sie sah ihn von einem rücksichtslos daherbrausenden Kraftwagen überfahren, mit einer schweren, wenn nicht tödlichen Kopfverletzung ins Krankenhaus gebracht. Sie sah ihn von einem leichtlebigen Frauenzimmer in eine düstere Kaschemme gelockt, betrunken gemacht oder gar vergiftet, kurzum sie sah ihn — und damit endeten in ihrer Phantasie all diese schaurigen Bilder — auf einem Krankenlager liegen und sich, die verzweifelte Ehefrau, trauernd und schluchzend an seiner Seite sitzen.
Da aber solch unliebsame Vorstellungen auf die Dauer sehr drückend auf ein zartes Gemüt wie das ihre wirken mußten, begann ihre Phantasie sich rosigeren Vorstellungen zuzuwenden. Therese sah sich als trauernde Witwe am Grabe Oskars stehen. Es war ein prächtiges Begräbnis, wie es die Stadt seit Jahren nicht mehr erlebt hatte, alle Bekannten, Freunde und Verwandten drängten sich tröstend um Therese, die im schwarzen Witwenschleier, der ihr blondes Haar erst zur vollen Geltung brachte, wirklich bezaubernd aussah. Mit bewundernswerter seelischer Kraft und kleidsamer Blässe trug sie ihr herbes Schicksal. Erst nach entschiedenem Widerstand und langen zermürbenden Kämpfen gab sie auf Drängen ihrer Freundinnen nach und erklärte sich bereit, sich auf einer Weltreise von ihrem bitteren Schmerz zu erholen. Natürlich fuhr sie auf einem Luxusdampfer, und natürlich erregte ihre Anwesenheit bei sämtlichen Mitreisenden, besonders den Herren, beträchtliches Aufsehen, und jeder versuchte auf die eine oder andere Weise ihre Bekanntschaft zu machen. Sie war jetzt eine entzückende, umschwärmte und durchaus nicht unbemittelte Witwe.
So weit war die arme, übermüdete Therese in ihren Phantasien gekommen, als sie heftig zusammenschrak und jetzt erst klar erkannte, wie weit sie sich da in ihren Gedanken verirrt hatte. Es war beschämend, und Therese schämte sich auch wirklich. Sie versuchte, im Geist rasch einen Strich durch das Ganze zu machen, es sozusagen auszuwischen/aber das war nicht so einfach. Sie hatte es geträumt — hatte sie es sich wirklich gewünscht? Daß Oskar tot war, ihr Oskar? Nein, nein, natürlich nicht, sie war erschöpft, sie war übermüdet, das war alles! Aber wie hatte sie auch nur einen Augenblick mit solch verruchten Gedanken spielen können? War es wirklich so weit gekommen mit ihrer Ehe, mit ihrer Liebe zu Oskar, daß dies ihre geheimen Wünsche waren?
Therese schauderte Vor sich selber. Aber eines wurde ihr plötzlich ganz klar: daß ihre Ehe eben doch nicht mehr so war, wie sie sein sollte. Woran lag das nur? Wie war es so weit gekommen?
Sie erinnerte sich an die schweren Zeiten des Krieges, als Oskar eingezogen war und sie allein, so gut es eben gehen .wollte, sein Geschäft leiten mußte. Jetzt, nachträglich, erschienen ihr diese Jahre als die schönsten ihrer Ehe. Welch zärtliche und sehnsuchtsvolle Briefe hatten sie da einander tagtäglich geschrieben, wie hatte sie um ihn gebangt, wie war er um sie besorgt, und wenn er dann endlich einmal auf Urlaub kam, wie glücklich waren sie da miteinander gewesen! Auch die ersten Jahre nach dem Krieg waren noch harmonisch und gut verlaufen, als sie, aufatmend, das Geschäft wieder an ihn abtreten durfte, als er selber so schwer zu kämpfen hatte, seine Blumenhandlungen wieder in die Höhe zu bringen. Es waren schwere Jahre gewesen, harte, aber glückliche Jahre. Jetzt war alles so verhältnismäßig leicht geworden, aber sie waren beide nicht mehr glücklich. Sie hatten zwar alles, was sie haben wollten. Oskars Geschäfte gingen glänzend, nicht der geringste Komfort oder Luxus fehlte in
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