Mit einem Fuß im Himmel
Pflichterfüllung und Diensteifer einfach verhaßt und widerwärtig. So ging sie in das erste Cafe, das am Wege lag, und rief das Hauptgeschäft von Oskar Hähnlein an. Der Chef selber war nicht im Hause, aber die Verkäuferin, die Liselottes Anruf entgegennahm, wußte genug von ihrer Zuverlässigkeit, um nicht auf den Gedanken zu kommen, daß Liselotte sie beschwindeln wollte. Liselotte kam mit ihrer Erklärung, daß ihr plötzlich ganz elend geworden sei und sie zu einem Arzt gehen und sich dann ins Bett legen wolle, gut durch, sie wurde mitleidsvoll, bedauert und konnte, nachdem sie noch etliche Besserungswünsche über sich hatte ergehen lassen, befriedigt einhängen.
Sie bestellte sich ein Kännchen starken Kaffees, und nachdem sie ihn getrunken, einige Zigaretten geraucht und über ihr verfehltes Leben nachgedacht hatte, war ihre Wut auf Tante Hedwig verflogen und hatte wieder einmal schweren Selbstvorwürfen Platz gemacht.
Liselotte hoffte, es würde ihr guttun, durch die frische Luft zu gehen, das Wetter war so frühlingshaft schön. Die strahlende Sonne mußte doch Kraft und Wärme genug haben, selbst die schwärzesten Gedanken aufzuhellen! Liselotte entschloß sich, durch den Hofgarten und über die Rheinbrücke nach Hause zu bummeln.
In einer stillen Straße gleich am Hofgarten liegt das Standesamt, und Liselotte steuerte, ohne es bewußt zu beabsichtigen, geradewegs darauf zu. Erst als sie vor dem Hause stand, bemerkte sie, wohin sie geraten war, und ihr Herz krampfte sich schmerzlich zusammen. Ob wohl ein Brautpaar herauskommen würde? Der Anblick zweier glücklicher Menschen hätte sie ihre Einsamkeit freilich nur noch heftiger spüren lassen.
Liselottes Gedanken waren ganz und gar abwesend, als sie plötzlich einen heftigen Stoß bekam, einen Stoß von einem rückwärts aus einer Ausfahrt herausfahrenden Wagen, der sie aus dem Gleichgewicht warf und der Länge nach auf der Straße hinschlagen ließ.
Es war das Auto Till Torstens, aber Liselotte war im ersten Augenblick weit entfernt davon, dies zu erkennen, es dauerte ziemlich lange, bis sie überhaupt begriff, was so plötzlich mit ihr geschehen war.
Till Torsten trug an diesem Zusammenstoß mindestens genausoviel Schuld wie Liselotte, auch er war — mit seinen Gedanken nicht bei der Sache gewesen, sondern bei Gabys unmöglichem Benehmen, dem versteckten Grinsen des Standesbeamten und dem Anblick einer weißen Hochzeitskutsche, in deren nächster Nähe er gezwungenermaßen hatte parken müssen. Er hatte sich nicht genügend vergewissert, ob die Ausfahrt tatsächlich frei war.
Aber weder Liselotte noch Till Torsten waren in der Stimmung, zur Einsicht und Erkenntnis ihrer eigenen Schuld und zum Verstehen der menschlich entschuldbaren Unzulänglichkeit anderer zu gelangen.
»Sie Idiot!« schrie Liselotte zornentbrannt, als sie sich wieder hochgerappelt hatte.
Till Torsten öffnete den Wagenschlag und brüllte zurück: »Können Sie denn nicht lesen?! Ausfahrt steht da, Vorsicht, Ausfahrt!«
»Rücksichtslosigkeit!« schimpfte Liselotte und klopfte sich den Schmutz von Mantel und Kleid. »Den Führerschein sollte man Ihnen entziehen!«
Till Torsten stieg aus, um sich zu vergewissern, daß Liselotte nichts Ernstes passiert war. »So etwas wie Sie dürfte gar nicht frei herumlaufen, verstehen Sie? Sie bilden eine Gefahr für die Menschheit!«
Sie standen jetzt einander gegenüber, Liselotte schaute ihn an und erkannte, wem sie ihren Sturz verdankte. »Sie! Verdammt noch mal! Ausgerechnet Sie!« rief sie wütend und verwirrt zugleich.
Auch Till Torsten wurde es klar, daß er diesem Mädchen mit dem hellen Haar und den klaren grauen Augen nicht zum erstenmal begegnete. »Sie kenne ich doch?« fragte er, unsicher geworden.
»Sie merken wirklich alles!«
»Wenn ich bloß wüßte...«, überlegte er.
»Ist doch jetzt ganz egal, wie?! Schauen Sie sich mal mein Knie an! Der Strumpf ist auch kaputt!«
»Tut es weh?« erkundigte er sich, unwillkürlich mit weit sanfterer Stimme.
»Ziemlich!« erwiderte sie kläglich. »Der schöne Strumpf!«
»Steigen Sie ein!« forderte er sie entschlossen auf, und sie ließ sich nicht zweimal bitten. Sie schlüpfte ins Auto, Till Torsten setzte sich ans Steuer und der Wagen fuhr an.
»Sie haben mir da einen schönen Schock versetzt!« brummte er, mehr um seine Würde zu wahren, als aus ernstlichem Ärger.
»Ich Ihnen? Sie mir!« widersprach sie.
»Na, egal! Jedenfalls finde ich, auf diesen Schreck gehört
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