Mit einer Prise Glück und Liebe
in weißen Caprihosen und einer ärmellosen grünen Bluse mit ausladendem Kragen in die Küche gerauscht. Dazu trägt sie ein Paar passende Ohrringe und ihre grün-weiße Armbanduhr. »Guten Morgen, Ladys«, begrüßt sie uns und stellt eine Schachtel Dunkin’ Donuts auf den Tisch. »Wie läuft es so?« Sie schnuppert. »Wie ich sehe, hast du Kaffee gemacht. Kriege ich einen?« Ohne meine Antwort abzuwarten, nimmt sie eine Tasse aus dem Schrank und schenkt sich Kaffee ein. »Für dich auch, Ramona?«
Ich nicke, während ich wieder an Jonah denken muss, wie er vorhin auf dem Bürgersteig vor dem Haus gestanden hat. Ich kann es immer noch kaum fassen. Es ist wie ein Wunder. Wie kann er in meiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnen? Ich kenne zwar noch nicht einmal zehn Prozent der Leute im Umkreis von fünf Häuserblocks, aber trotzdem. Er hätte mir doch auffallen müssen.
Ich frage mich, wie sein Leben verlaufen sein mag, ob er Kinder hat, verheiratet ist. Ich denke an die Blume in seiner Jackentasche. Und an seine wunderschönen Augen. Ihn nach all den Jahren wiederzusehen hat mich zutiefst erschüttert, und als ich zusehe, wie Lily sich Kaffee einschenkt, bin ich plötzlich wieder sechzehn: Meine Mutter zerrt mich aus dem Plattenladen in Castle Rock, das Leben, wie ich es mir vorgestellt habe, wird ganz anders verlaufen. Es ist, als wäre meine Welt vollständig aus den Fugen geraten. Und selbst heute noch bin ich vollkommen überwältigt von der Präsenz dieses Mannes, der um Jahre älter ist als ich, so als hätten meine Gefühle für ihn nichts von ihrer Macht eingebüßt.
Dabei kam er mir heute gar nicht alt vor , denke ich lächelnd und rühre Zucker in meinen Kaffee.
Lily öffnet die Schachtel mit den Donuts. Ich muss wieder an ihren Wutanfall damals denken. An ihre Angst. Heute, da ich selbst ein Kind habe, verstehe ich sie nur zu gut. Nichts ist schlimmer für eine Mutter, als das Leid des eigenen Kindes mit ansehen zu müssen. Die Sorge frisst sich tief in unser Herz und verschwindet erst, wenn unser Kind wieder glücklich ist. Für einen kurzen Moment schlüpfe ich in ihre Haut und sehe mich selbst, hochschwanger und völlig hysterisch. Eine Woge der Liebe erfasst mich. Ich lege mir die Hand auf die Brust und hole tief Luft.
Katie sitzt schweigend am Tisch und schält die gekochten Eier in der blauen Schüssel, die ich ihr hingestellt habe. Ihr Blick huscht zwischen uns hin und her, während sie auf eine Art und Weise Informationen zu sammeln und zu speichern scheint, die viel zu erwachsen für sie ist.
»Mom«, sage ich. »Könntest du mir die Butter aus dem Kühlschrank und zwei Messer geben?«
Ich sehe ihr an, wie froh sie ist, eine Aufgabe zu haben – sie hantiert keineswegs in meiner Küche herum, als wäre sie ihre eigene, weil sie sich fühlt, als wäre sie der Boss hier. Na ja, zumindest nur teilweise. In Wahrheit fühlt sie sich auf diese Weise gebraucht und so, als würde sie dazugehören. Wieso denke ich so gemeine Sachen über sie? Zu nahezu jedem anderen Menschen auf der Welt bin ich netter als zu meiner eigenen Mutter. »Sofia hat uns eine Mail geschrieben«, sage ich.
Sie zieht einen Stuhl heran und setzt sich hin. »Und wie sieht es aus?«
»Eigentlich gibt es nicht viel Neues. Du kannst ihr auch mailen, wenn du willst. Katie, nach dem Frühstück solltest du eine Mail an deinen Dad schreiben. Sofia wird sie ihm vorlesen.«
»Und was soll ich schreiben?«
»Erzähl ihm einfach, dass du jetzt hier wohnst und einen Hund hast. Ganz normale Dinge.«
»Schöne Dinge«, sagt Lily. »Wenn er weiß, dass es dir gut geht, kann er sich darauf konzentrieren, gesund zu werden und damit schneller nach Hause zurückzukehren.«
Katie nickt. »Oh. Okay. Ich erzähle ihm von Merlin. Wie er über den Zaun gesprungen ist.«
»Ach, ist er das?«
»Ja«, sage ich, winke aber ab. »Das ist eine lange Geschichte, Mom.«
Mit spitzen Fingern nimmt sie einen Donut mit Erdbeerglasur aus der Schachtel und legt ihn auf die Untertasse, die sie aus dem Schrank geholt hat. »Ich schicke ihr auch ein paar Zeilen. Versprochen. Willst du keinen Donut, Ramona? Ich habe dir extra einen mit Apfelfüllung mitgebracht.«
»Ich betreibe eine Bäckerei, schon vergessen?«
»Aber bei dir gibt es keine Donuts, oder?«
»Nein.« Ich hole tief Luft und lasse sie langsam wieder entweichen.
»Hey«, sagt Katie und rettet mich damit. »Vorhin war eine alte Frau im Garten, die meinte, Sie kennen sich gut mit Blumen
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