Mit falschem Stolz
gefragt: »Welche Worte genau, Herr Vater?«
»Hat der nicht gesagt: ›Und weiter sah ich Gottlose, die begraben wurden und zur Ruhe kamen, aber die recht getan hatten, mussten hinweg von heiliger Stätte und wurden vergessen in der Stadt‹?«
Sie lehnte sich an seine Schulter. Für die Umstehenden mochte es aussehen, als ob sie Trost bei ihm suchte, aber sie murmelte nur belustigt: »›Denn es geht dem Men schen wie dem Vieh … Es ist alles aus Staub geworden und wird wieder zu Staub.‹ Ja, Herr Vater, der Prediger Salomo hat eine weit erfrischendere Einstellung zu Leben und Tod als unser gütiger Pater Henricus.«
Staub war er nun, ihr betrügerischer Gatte, Brudermörder, Ehebrecher und vermutlich auch Urheber weiterer Verbrechen. Sein Testament kannte sie. Es war von Ivo vom Spiegel aufgesetzt, von Arndt van Doorne vor Zeugen unterschrieben, von dem Notarius gesiegelt worden. Sie war alleinige Erbin seiner weltlichen Habe, nicht aber seiner Schulden. Das Haus gehörte zur Hälfte ihr, die andere Hälfte hatte Robert seinem Geschäftspartner und Freund John of Lynne vermacht. Der Weingarten gehörte ihr leider nicht mehr, ihn hatte van Doorne an einen Ritter von Merheim verkauft, um ihr ihre Mitgift zurückzahlen zu können. Doch aus einem unerklärlichen Grund hatte der neue Eigner ihr die Nutzung des Landes überlassen und zahlte dafür sogar noch ein Entgelt. Schon oft hatte Alyss sich gefragt, wer hinter dieser Transaktion wirklich stand. Der Ritter von Merheim schien eine Schimäre zu sein, ein Strohmann, der für den Kauf stand. Alyss vermutete, dass ihr Bruder hinter diesem Versteckspiel stand. Aber sie hinterfragte es nicht, denn sie war dankbar dafür, dass sie den Weingarten weiter pflegen und hegen durfte. Er war ihr Anliegen, seit sie in das Haus gezogen war und die verwilderten Rebstöcke zu neuem Leben erweckt hatte.
Unverrichteter Dinge verließ sie schließlich das Kontor, als die Dämmerung niedersank. Im Haus war Ruhe eingekehrt.
Müde trottete sie die Stiegen zu ihrer Kammer empor. Morgen war auch noch ein Tag.
Dieser neue Tag brachte ihr in der Frühe Marian und den Büttel, der ihr mit gewichtiger Miene ein Pergament überreichte.
»Der Schöffe hat die Malefikanten befragt. Magister Jakob hat für Euch eine Abschrift des Protokolls verlangt«, sagte er mit säuerlicher Miene. Offensichtlich fand diese Praktik nicht seine Billigung.
»Ich danke dir, Büttel«, erwiderte Alyss und nahm ihm mit sanfter Gewalt die Rolle aus den Fingern. Marian drückte dem Mann eine Münze in die Hand und bat ihn, sich für seine Mühen mit einem Bier zu stärken.
»Lass uns sehen, wie sich die Dinge entwickelt haben«, meinte er, als der Bote aus dem Hof geschlurft war.
»Komm mit ins Kontor.«
Dort breiteten sie das Schreiben aus und lasen Seite an Seite, was der Turmschreiber während der Gerichtssitzung protokolliert hatte. Der Schöffe Endres Overstoltz hatte den Vorsitz gehabt und selbst Mats Schlyffers verhört, der jedoch nur stumpfsinnig vor sich hingestarrt und jegliche Antwort verweigert habe. Auch Frau Catrin hatte seinen Angaben zufolge nur wirres Zeug gestammelt und konnte zu keiner seiner Fragen eine sinnvolle Antwort liefern. Schöffe Overstoltz leitete daraus seine erste These über den Vorgang des Verbrechens ab: Catrin und Mats, die Malefikanten, sind Schwachsinnige. Insbesondere Catrin sei so von Witz und Sinnen, dass ihre Eltern sie bei den Beginen eingesperrt haben. Seine conclusio lautete: Beide Malefikanten haben wie die blutrünstigen Tiere den wohledlen Herrn Arndt van Doorne umgebracht.
»Wer ist dieser Endres Overstoltz?«, fauchte Alyss.
»Keine Ahnung, Schwesterlieb. Aber so wie es aussieht, weit mehr ein Mann von Witz und Sinnen als alle Bewohner der Tollkammer zusammen.«
»Und aufgrund seiner überragenden geistigen Gaben hat man ihm den Vorsitz der Gerichtssitzung angetragen?«
»Kein anderer fand sich dazu bereit, von den fünfundzwanzig Schöffen sind siebzehn erkrankt.«
»Wie denn das?«
»Da eben dieser unverdiente Overstoltz erst gerade zum Schöffen gewäldigt worden ist, musste er sein Einstandsessen geben. Magister Jakob nannte ihn einen Mann von Sparsamkeit. Der Wein, der gereicht wurde, war mit Wasser gepanscht. Vermutlich mit fauligem Brunnenwasser. Offensichtlich hat aber der Gastgeber selbst unvermischten Wein gesoffen.«
»Ein bemerkenswerter Mann, der Overstoltz!«
Marian zuckte mit den Schultern.
»Man wird ihn im Auge behalten. Unserem
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