Mit falschem Stolz
bevor er übersetzte.
»Arndt van Doorne?«
So wie er den Namen aussprach, würde ihn nur ein Kölner aussprechen. Aus Johns Mund klang es gänzlich anders.
Und in diesem Augenblick wurde für Marian das Unfassbare zur Gewissheit.
»So bist du eher ein Lazarus als ein Kain«, murmelte er. »Und ein Abel mehr als Kain.« Fest schaute er dem struppigen Diener in die Augen.
Der lächelte unter seinem Bart, wartete Tilos Worte ab und antwortete: »Tatsächlich wäre mir ein heißes Bad recht.«
Marian rümpfte die Nase und schnüffelte.
»›Oh Herr, er stinkt schon‹, wie Johannes erzählte. Wahrlich. Berichte, wie du zu diesem modrigen Geruch kamst.«
Der Wachmann räusperte sich und wollte einschreiten, aber Marian beschied ihn kurz: »Der Mann wird meinem Begleiter jetzt in seiner eigenen Zunge seine Geschichte erzählen. Wir werden dem Turmvogt berichten, was er uns zu sagen hat.«
Bob begann, Tilo lauschte mit immer faszinierterem Gesicht. Schließlich nickte er. Zu dem Wachmann ge wandt, erklärte er: »Sein Herr ist John of Lynne, ein Tuchhändler, der Köln zur Herbstmesse aufsuchen will. Der Diener ist vorausgefahren, um ihre Quartiere vorzubereiten. Aber vor den Stadttoren ist er überfallen und ausgeraubt worden. Er war einige Tage von einem Schlag benommen und kann sich nicht erinnern, wie er in die Gegend vom Eigelstein gelangt ist. Daher hat er auch niemanden um Hilfe bitten können. Er hat sich wie ein Bettler verhalten und von den Beginen dann und wann ein Stück Brot zugesteckt bekommen. Von einem Ermordeten weiß er nichts. Er hofft, dass sein Herr bald eintrifft und ihm aus der misslichen Lage hilft.«
Der Wachmann gab ein unwirsches Geräusch von sich. Es war klar, dass er die Geschichte nicht glaubte. Aber das bereitete Marian keine Sorgen. John würde in der Tat bald eintreffen, und bis dahin würden sie das Gaukelspiel aufrechterhalten.
»Gehen wir, Tilo. Wachmann, sorg du dafür, dass der Mann ordentlich zu essen bekommt«, sagte er und drückte dem Mann einige Münzen in die Hand.
Als sie einige Schritte vom Turm entfernt waren, konnte Tilo sich nicht mehr zurückhalten.
»Es ist Herr Robert, Herr Marian. Er ist es wirklich. Es war …«
»Still, Tilo. Erzähl es uns, wenn wir alle beisammen sind. Einen Teil, glaube ich, habe ich sogar verstanden. Aber es sollte keine Menschenseele außer uns erfahren, was sich dahinter verbirgt. Master John und er haben ganz bestimmt ihre eigenen Pläne. Seit zwei Jahren schon, glaube ich.«
»Ja, so ist es.«
Tilo musste sich bis zum Nachmittag mit seiner Neuigkeit gedulden, denn Alyss lieferte mit Peer Wein an ihre Kunden aus, Lauryn kümmerte sich wieder um Magister Jakob, Leocadie und Hedwigis tätigten für Hilda Einkäufe auf dem Markt. Marian schickte ihn ins Kontor und ging selbst mit dem Spitz in den Weingarten, um damit zu beginnen, die Reben zu schneiden. Aber zum Vesperläuten trafen nach und nach alle Mitglieder des Hauswesens ein, und endlich kam eine geradezu ungeheuerliche Geschichte ans Licht.
»Robert van Doorne lebt!«, eröffnete Marian der hungrigen Runde am langen Küchentisch.
Jeder Löffel sank, Hilda ließ klappernd die Kelle fallen, Alyss verschüttete den Apfelwein, den sie eben in ihren Becher gießen wollte.
»Wie bitte?«
Marian erklärte: »Robert van Doorne gibt sich seit letztem Jahr als Bob, den Diener von Master John, aus. Derzeit wird er im Kerker festgehalten und beschuldigt, Arndt van Doorne erstochen zu haben. Darum, merkt euch alle das, wird Robert für uns weiterhin Bob der Diener sein. Denn sollte auch nur einer der Wachleute oder Turmamtmänner, oder gar der Schöffen, herausfinden, dass er Arndts Bruder ist, kommt er in Teufels Küche. Ist das verstanden?«
»Hat er ihn denn umgebracht?« Hedwigis, mit funkelnden Augen, hatte sich als Erstes gefasst, und ihre Sucht nach Sensationen brach sich in dieser atemlosen Frage Bahn.
»Nein, das hat er nicht«, sagte Marian ungewohnt barsch. »Obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte. Tilo, berichte!«
Tilo, der einen unverbesserlichen Hang zum Geschichtenspinnen hatte, sonnte sich in der Aufmerksamkeit. Er nahm erst mal einen Löffel Suppe, kostete ihn genüsslich und bekam von Lauryn einen Tritt ans Schienbein.
»Autsch!«
»Erzähl. Essen kannst du später.«
»Ich habe aber Hunger! Den ganzen Tag hat man mich herumgescheucht …«
»Tilo!«, sagte Alyss warnend. »Es ist wichtig.«
»Oh – ja, schon gut. Also, im Juli vor einem Jahr wurde
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